Anlässlich der Ausstellung von Andreas Praetsch vom 8. Juli bis 19. August 2001
Zur Selbstbiographie eines Gebäudes gehört die Veränderung, ohne sich selbst zu verleugnen
Vorwort zum Ausstellungskatalog von Roswitha Siewert
Der Ausstellungspavillon der Overbeck-Gesellschaft, 1930 von dem Lübecker Architekten Wilhelm Brack erbaut, ist ein Sonderfall im regionalen Bauen der damaligen Zeit. Er steht wie viele Bauten dieser Zeit im „Kontrast zur damals landestypischen Heimatschutzarchitektur“ (U. Höhns). Darüber hinaus steht er als Glücksfall: Er ist ein dekat-heiteres Korrektiv für den Alleinvertretungsanspruch einer denkmalgeschützten Weltkulturerbe-Architektur. Auch wenn er mit siebzig Jahren eigentlich selbst Denkmalstützen braucht, vermittelt er den starken Eindruck eines anmutigen Landhauses, eines Kunsttempels für wechselnde Gegenwartskunst im Grünen. Er breitet die Arme in klassizistisch-anmutenden Fassaden aus, betont den Eingang hoheitsvoll, darüber die beschriftete Außen-Wandfläche des ersten Stockwerks, gibt auf der einen Seite den direkten intimen Eintritt vom Garten aus frei, dient mit seinen Wänden, Räumen und Oberlicht der ausgestellten Kunst. Der Besucher endet im letzten Raum in einer Sackgasse. Er muss umkehren. Fazit: Der Pavillon bietet mit seinem minimalistischen Raumkonzept ideale Bedingungen für die Aufnahme von Kunst, der Besucher hat Ein- und Ausgang.
Zwei Ausstellungen stellen in diesem Jahr die Architektur des Pavillons ins Zentrum. Der bauhistorische Aspekt wird in der Ausstellung „Moderne Architektur in Schleswig-Holstein 1920 – 1937“ im Mittelpunkt stehen. Zunächst aber das Gedankenpaar Kunst und Architektur:
Andreas Praetsch (geb. 1957 in Hamburg) hat mit seiner Ausstellung „Malerei und Ort“ ein Konzept entwickelt, das die Beziehung zwischen Innen und Außen des Ausstellungspavillons, also des Ortes, der gegebenen Architektur im Ambiente, und die Reflexion der architektonischen Eigenheiten, der Details, zum zentralen Ansatzpunkt nimmt. Durch überraschende Projektionen und wohlüberlegte Farbfeldmalerei wird der gewohnte Blick verändert: Der Innenraum wird scheinbar nach außen gebracht und schafft umgekehrt eine täuschend abgewandelte Garten- und Außenerscheinung. In einem ausgeprägten Wechselspiel der Farben und Flächen entstehen geometrische Strukturen, deren Wert sich aus dem Verhältnis der verschiedenen Elemente zueinander ergibt.
Die Räume kommen ins Fließen. Warm und kalt, voll und leer, hoch und tief, starr und flexibel sind Begriffspaare, die in ein System von Vertikalen und Horizontalen laufen. Dimensionen und Eigenschaften des Raumes ergeben eine Einheit, die sich aus vielfältigen Beziehungen im Raum organisiert.
Dieses Beziehungssystem von Flächen, Farben, Öffnungen, Spiegelungen, Projektionen schafft die Möglichkeit für einen permanenten Verlauf. Wände öffnen sich zum Garten, ein Rundgang wird möglich. Materialien, wie zum Beispiel Acrylglas, unterstützen diesen Eindruck, da sie Spiegelungen aufnehmen und in die Tiefe dringen lassen. Ineinander verschachtelte Rahmen, Objekte und Korridore konstruieren diaphane Räume. Der Betrachter ist in Bewegung, in Zirkulation. Das bewegliche Bild der Räume schafft eine Verlängerung der Distanz, eine Flucht des Blickes. Täuschungen, die viel Beobachtungspunkte schaffen, täuschen nicht darüber hinweg, dass die gegebenen Räume des Brack’schen Pavillons willkommene Reibungsfläche für den künstlerischen Eingriff von Andreas Praetsch sind. Künstler und Architekt gehen Hand in Hand mit sicherem Rauminstinkt.
Diese Ausstellung, die Errichtung einer Haus- und Garten Installation, war möglich durch den organisatorischen und finanziellen Einsatz vieler Beteiligter. Andreas Praetsch, der in diesem Frühjahr schwer erkrankte, wünschen wir weiterhin gute Besserung. Sein konkretes künstlerisches Konzept ermöglichte Martina Raßbach und einem Team von Helfern die Umsetzung am realen Ort. Der Possehl-Stiftung sei unser Dank gesagt für hilfreiche Unterstützung, um die aufwendigen Installationen zu erstellen und zu dokumentieren.