Slowenien

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„Was ist Kunst?“ und „Was ist die Alternative?“ wurde in den 1980er-Jahren bereits in Slowenien gefragt.

An der Eingangspforte zum Balkan, ist es das einzige Land aus dieser Region, das 2004 Mitglied der EU geworden ist.

Abb. Viktor Bernik, Albuquerque. Acryl auf Leinwand, 2003

Die moderne und zeitgenössische Kunst dieses Landes stellt Dr. Roswitha Siewert in einem Vortrag am 18. Oktober 2005 in der Volkshochschule Lübeck vor (Auszug)

Wir gehen jetzt in die Zielgrade, die drei letzten Kunst-Blicke auf neue Länder der Europäischen Union. Die erweiterte Kunst Europas ist unser Thema: heute von den zehn zu betrachtenden Ländern: Slowenien. Damit kommen wir in eine europäische Region, die mit „Balkan“ bezeichnet wird, zwar ist mit Slowenien nur das obere Sahnehäubchen eines mit hohem Konfliktpotential schwer beinhalteten Eurotortenstück zu betrachten. Unruheherd und Feuertopf ist das allgemeine politische Vor- bzw. Urteil über den Balkan, Zündstoff zu Ausbrüchen von Weltkriegen, ein ausrottender Terrorkrieg usw. Erinnert sei an meinen ersten Vortrag über Ungarn, wo ich versuchte zu erklären, warum Europa, warum der Zusammenschluss von wirtschaftlichen und politischen Interessen vieler Staaten in der Europäischen Union ein Ziel ist, das einen Einsatz lohnt.

Initialzündung dazu war, neben vielen anderen Argumenten, der Gedanke für einen dauerhaften Frieden in Europa nachdem 65 Millionen Opfer im ersten und zweiten Weltkrieg umgekommen waren.“ Let Europe arise“, endete Winston Churchill seine Züricher Rede vom 19. September 1946. Er forderte die Schaffung einer „Art Vereinigte Staaten von Europa, um den verwirrten Völkern dieses unruhigen und mächtigen Kontinents ein e r w e i t e r t e s H e i m a t g e f ü h l und ein gemeinsames Bürgerrecht“ zu geben. Auch wenn wir mit Slowenien die nördlichste Kappe des Balkans berühren, haben sich hier Strategien in der Kunst entwickelt, die bahnbrechend für neue Kunst und Kunstbetrachtungen sind und eben auch in den Begriffen, Heimat, Kunst, Heimatkunst und den vielen „Erweiterungen“ über Wirtschaft und Politik hinaus, denken.

Zunächst etwas Geografie aus welchen Landteilen, möglichen Funkenherden sich diese Vorstellung „Balkan“ zusammensetzt. Rechts: (zwar mit Buchknick also keine Staatsgrenze) die einzelnen Länder zur Orientierung: Im Nord-Osten, (oben) hell rosarot das zu betrachtende Land Slowenien mit der heutigen Hauptstadt Ljubljana (deutsch: die Geliebte), das frühere Laibach, was in älterer Geschichte und in gegenwärtiger nicht nur freundliche Erinnerung bewahrt. Kroatien mit Zagreb zieht sich entlang der Adriaküste mit all den Urlaubsorten, die heute wieder zu besuchen sind, aber für viele sind Urlaubserlebnisse aus Titos Zeiten damit verbunden: Dubrovnik, Split, Sveti Stefan, die Inseln . . . Auch wenn Kroatien an die europäische Tür klopft, die Serben mit Belgrad im Bereich der Kunst mit keiner geringeren als Marina Abramowicz punkten kann und die Montenegriner sich bereitstellen. Hierzu gehört auch das kleine Kosovo mit Pristina. Bosnien-Herzegowina mit dem geschichtsträchtigen Sarajevo steht in Distanz. Rumänien und Bulgarien befinden sich in aktueller Diskussion. Albanien, das sich neben anderem, mit einer aufregenden und im Westen beachteten und akzeptierten Kunstäußerung auf sich aufmerksam macht. Die Entwicklungen dahin sich öffnen, dass Griechenland als Mitglied der EU enger einbezogen wird. Der Plan ist auch diskutiert worden: einen ganzen Staat Jugoslawien zu gründen – und nicht die kleinteilige Vielstaaterei – ihn in die EU aufzunehmen). Über Zypern, unser zum Abschluss zu betrachtendes Land der EU, dann die Türkei auf dem EU-Tablett liegt. Da ist dann noch Mazedonien mit Skopje. Ein großes Land, ein riesiges Pulverfass aus der Geschichte, auch ein mögliches der Zukunft, das europäische Diplomaten vom Feinsten fordert, um Frieden zu halten.

Links: nun eine „Kunstarbeit“ von Personal Cinema, eine Gruppe, ein Künstlerkollektiv, aus allen Ländern des Balkans, die es sich zur Aufgabe gemacht hat im Zeitalter der Präventivkriege einen präventiven Kunstkrieg zu veranstalten, der spielerisch so angelegt ist, dass er über einer ernsthaften Untersuchung präventiver Strategien, die Entwicklung von Dialog und Toleranz unter den Völkern des Balkans sowie die Errichtung eines Kunstwerkes ermöglicht, das die Basis für eine zukünftige regionale Zusammenarbeit sein könnte. Jedes Land hätte seinen zentralen Informationsort, das mit einer wappenähnlichen Nummerierung kunststrategisch festgelegt ist. Das

Spiel findet in Ausstellungen statt. Das Thema ist angezeigt: Wie real ist Kunst, wie irreal ist die Wirklichkeit.

Beispiel in einer Ausstellung in Kassel 2003 (rechts: Plakat und Einband des Kataloges „In den Schluchten des Balkan“, hieß die Ausstellung (richtig: Karl May, nicht Karl Marx). Eine junge Frau in Rückenansicht weht mit der abgebrochenen Fernsehantenne und hofft auf Aufmerksamkeit, bittet um Hilfe – die Stadt davor scheint aus den Angeln zu kippen. Möglich auch die Deutung, das sie sich an der Antenne festhält und verzweifelt versucht, in dem Starken, von links blasenden Sturm ihr Gleichgewicht auf einem Dach zu halten. Die Richtungen fungieren möglicherweise als Bilder (Metaphern) für politische Orientierungen. Diese Ausstellung wird uns noch beschäftigen, was Slowenien betrifft.

Links eine blond ondulierte Figur (Innenrolle) mit rotem in sich gekremptem Hut und blauem Overall,(oder einfarbigem Zweiteiler), einem Wanderstab (Gewehr) in der rechten Hand blickt auch auf eine Stadtlandschaft aus aufstrebenden Häusern und blühenden grünen Baumgruppen, sie zieht sich in harmonisierenden Horizontalen bis zum Horizont hin um sich dann in einer Gebirgs- und Himmelsregion aufzulösen. Die aus Plastik (handbemalt – aus dem Kinder-Überraschungsei heraus gepellt – vielleicht) bestehende kleine Frauenfigur steht auch mit dem Rücken zum Betrachter und zieht ihn gleichzeitig in das Bildgeschehen mit ein, davor auf einer Flussebene ist das Wort Albuquerque zu lesen. 100 cm hoch und 120 cm breit. Es ist die Arbeit (Acryl auf Leinwand 2003 entstanden) des Slowenen Viktor Bernik (1971 in Ljubljana geboren, studierte an der Akademie in Ljubljana und war auch an der Indiana Universität in Pennsylvania).

Das Neue Land Slowenien oder nicht eher: Albuquerque, der portugiesische Seefahrers vor der Eroberung von Hormus, Goa oder Malakka? Das Wort ist auch der Name einer Stadt in New Mexiko,

die bekannt ist für eine moderne Versuchsanlage für die Nutzung von Sonnenenergien. Amerika-Erinnerungen, Neueroberung, Aufbruch, Einhalten und Bedenken, Ratlosigkeit, dem neuen wuchernden

Stadtraum gegenüber. Überrascht und zur Standfestigkeit in Puppenform verdammt. Betrachtend, kontemplativ.

Zwei Bilder: einmal der Sog in die Schluchten des Balkans als Frage vor dem Abgrund oder als statuarische Position. Rechts die Arbeit einer Türkin Aydan Murtezaojlu, sie ist es selbst: anpacken, unbehütet, schwungvoll und standfest. Sie versucht in Ihren Arbeiten den von hinten aufgenommenen Protagonistinnen eine gewisse Fluchtmöglichkeit und Praktiken des Ungehorsams und Widerstands in die Hand zu geben. Aktiv. (Denken Sie ruhig auch an Caspar David Friedrichs epochale Bildlösung oder Bildfindung: der Rückenfigur im Bild. Werke wie „Wanderer über dem Nebelmeer“ oder „Frau vor untergehender Sonne“, beide um 1818 gemalt, „Mönch am Meer, 1809).

Slowenien: rechts ein Blick in tatsächliche Schluchten, Täler, Gebirgsformationen Slowenien: Urlaubsland zum Wandern in Nationalparks, Klettern (hier: das Socatal mit Blick auf den Berg Triglav. Im Berg Triglav lebt der dreiköpfige Gott, der den Himmel, die Erde und die Unterwelt regiert, so wird erzählt), Golfen, Skifahren im Winter. Slowenien grenzt im Norden mit breiter Front an Österreich. Österreichische Geschichte wurde prägend fürs Land.

1282 fällt das Gebiet an das Haus Habsburg. 1408 fallen türkische Truppen ein, Anfang des 19. Jahrhunderts gehört Krain unter Napoleon zu den illyrischen Provinzen, 1815 kommt es zum Österreichischen Kaiserreich.

Im Süden in noch breiterer Landschaftsfront an Kroatien grenzend, im Osten an Nord-Italien mit einem eigenen kleinen Zugang zur Adria. Im Westen nach Ungarn ausgerichtet.

In Slowenien und Österreich errichtete im ersten Jahrtausend Kaiser Otto II. die Mark Krain als Schutz damals gegen die Ungarn. In der Folgezeit teilten sich Slowenien und Bayern das Land bis es dann 1282 eben an das Haus Habsburg zu Österreich kam. Ein hochinteressantes Europaeck mit viel innovativer Kultur (Graz, die letztjährige Kulturhauptstadt, der steirische Herbst als Kunst Kultur Event). Nicht zu vergessen die populäre Oberkrainer Volksmusik, die und andere Töne waren vor einer Woche in der Fernsehsendung „Kein Schöner Land zu hören“, das sich Slowenien widmete, dazu gab es wunderschöne Urlaubsbilder . . . .

Ein paar Eindrücke der Vielfalt: Links und rechts: Venezianische Idylle als neues Europa in Sichtweite des alten Europa. Das Fischerstädtchen Izola mit seinem imposanten Jachthafen. Es liegt innerhalb des etwa 20 km schmalen Zugangs, den Slowenien südlich vom italienischen Triest zum Adriatischen Meer hat. Hier scheint der Löwe der Serenissima noch zu wachen, ein von der Sonne verwöhnter Teil, dahinter dann Felsschlünde mit Höhlensystemen voller Tropfsteinhöhlen. Am Meer liegt auch die Stadt Piran (Pirano), geboren ist hier 1692 der Komponist und Geigenvirtuose Guiseppe Tartini, seine Teufelstriller-Sonate wird als Hit der Wunschkonzerte immer noch gespielt. 125 Violinkonzerte und 200 Violinsonaten soll er komponiert haben (etwas für Musikarchäologen wie Cecilia Bartoli).

Aber auch ein Land für Weintrinker, dies im Aufbruch . . . selbst in der Nationalhymne hat der Wein Tradition seit langem, es heißt dort: Ihr Freunde, hebt die Gläser, gefüllt mit neuem Rebensaft . . . und die berühmten Lipizzaner der Wiener Hofreitschule stammen ursprünglich aus Lipica in Slowenien. Erst im Alter von sechs bis zehn Jahren bekommen sie die typische weiße Fellfarbe. In Slowenien müssen sie weniger Ballett tanzen, dafür werden sie für Kutschfahrten durchs Land angespannt.

Laibach – das heutige Ljubljana: Als meisterliche Architektur bezeichnet: die drei Brücken über die Ljubljanica, wo Joze Plecnik (er starb 1957) ein phantasiereicher Architekt nicht nur für Häuser, antikisierte Markthallen, steinerne Ruhebänke usw. Hier hat er eine bestehende alte Brücke durch zwei weitere links und rechts in ein elegantes modernes Ensemble verwandelt. Die Stadt macht einen barockisierten, heiteren Eindruck, vor allem beim Sonnenschein. Links ein Barockbau: die Franziskanerkirche. In der Neustadt pflegt der Jugendstil seine Blüten und zähmt sagenhafte Tiere. Links das Kaufhaus Centromerkur und rechts Drachen als steinerne Wächter der Drachenbrücke in Ljubljana.

Klassisch: Malerei aus Slowenien: links die perfekte Illusion in der Grafei von Celje: Eine Stadt die sich himmelwärts malt und öffnet. Über der Stadt liegt die Burg (Stari grad) und in der Burg öffnet das Gemälde die Decke als Himmel himmelwärts durch Galerien, an denen Hofdamen und Ritter lehnen (vollendet 1603). Rechts Fresko in der Wehrkirche von Hrastovlje: ein Totentanz in Slowenien. Gemessenes Schrittes weist der Herr Gevatter den Weg. Links nun das letzte Dia zum Anwärmen für das Urlaubs-, Geschichts- und Kunstland Slowenien: Seminarbibliothek im Bischofspalast in Ljubljana.

Wie nun mit den Kunstschätzen umgehen? Sie erhalten vor Ort, sie aber auch in Buchform aufheben. Jede Zeit entwickelt ihre Wertvorstellungen und schafft die Räume dafür. Wir gehen ins Heute, wie nun mit dem Gestern umgehen? Und wie darin das Heute deponieren oder neusetzen? Wie sieht das Heute der Kunst aus?

Rechts: eine Barocke Hängung? Viel Schwarz, auch Rot und Gold, Kreise , Kreuze, Stillleben, Tier- bzw. Hirschkopf. Das ist eine Sammelecke für kleinformatige Bilder im markigen Rahmen, die an die Pappecken von Kaufhausrahmen erinnern. Sie hängen überlegt sortiert in einer Ecksituation zwischen gotisierendem Kirchenfenster, rot bebändertem Adventskranz und blühendem Weihnachtsstern auf dem Altartisch. Etwas betulich, düster, trist und muffig, so gar nicht jugendlicher Elan, provokative Aufbruchstimmung. Die Ausstellsituation für Votivgaben oder die Malecke eines Naiven Meisters? Selbst die Hängung wird zum alles durchdringendem Anliegen. Die Hängekommission (es sind die Künstler selbst) sagt dazu: „Unsere Bilder werden oft in einem bestimmten Winkel aufgehängt, um eine geeignete Perspektive zu erzielen. Was die Optik betrifft, so hängen wir unsere Ausstellungsstücke gern in einer konkaven Ordnung auf: Die obersten Bilder sind nach unten geneigt, während die unteren Bilder oder andere Ausstellungsstücke von der Wand abstehen. Es gibt mehrerer Argumente, die eine solche Anordnung rechtfertigen: die Tradition der russischen Avantgarde-Ausstellungen von Kasimir Malewitsch, die Salonmalerei, wo die Bilder in mehreren Reihen hängen, und schließlich die slowenische Tradition, nach der Bilder von Christus in einem bestimmten Winkel in einer Ecke des Raumes unter die Zimmerdecke gehängt werden. Mit dieser Art der Anordnung ermöglicht Irwin – der Name der Künstlergruppe ist damit gefallen. Sie sprechen über sich in der dritten Form, also in Distanz zu sich selbst – unserem Bewusstsein, das Bild als Objekt wahrzunehmen, als ein Bild, das die Tradition der Ikone fortführt. Diese Art des Ausstellungsaufbaus beruht auf dem Gedanken, dass der Betrachter das wesentliche Element ist, das die Deutung eines Bildes bestimmt.

Wir beziehen uns hier auf ein Bild, das als Ikone fungiert, als Abbildung von etwas, das durch Gottes Auge gesehen wurde. Der Künstler übermittelt nur das Konzept Gottes an das Publikum. Aus einem ähnlichen Grund tragen Irwins Arbeiten nie eine Signatur, ihre Bilder sind immer das Ergebnis eines breiter angelegten Konzeptes. Eine Ausstellung in der Antoniten-Kirche in Köln 1998 der slowenischen Künstlergruppe Irwin. Irwin ist eine international wirkende Künstlergruppe, die jedoch mit all ihren Aktivitäten präsent ist, jedoch sehr schwer zu fassen und zu erklären. Ich versuche es hier und heute.

Diese Arbeit der aufgereihten Bildchen stellt die Frage und heißt auch so im Titel: „Was ist Kunst?“ nicht: „und das soll Kunst sein?“. Um das verwirrende Unwohlsein zu komplettieren, ein Zitat aus „Die schönsten Urlaubsländer Osteuropa Slowenien“, 2005 erschienen: „Behäbig und modern, konservativ und avantgardistisch – diese Kombination trifft man in Ljubljana immer wieder an . . . die Kunstszene ist schrill, rege und vieldeutig, die Theaterlandschaft changiert zwischen konservativem Schauspiel und düsteren Selbstinszenierungen avantgardistischer Vorreiter wie IRWIN, der Künstlergruppe NSK (Neue Slowenische Kunst) . . . usw.

„Was ist Kunst?“ gehört zu den wichtigsten von Irwin entwickelten Projekten, bereits 1985 begonnen, bis heute sind sie daran tätig. Es entwickelte sich zu einer Serie von mehr als 500 mit den typischen Rahmen versehenen Ölgemälden, aber noch mehr.Der Weg von einer Eckensteherkunst zum Tanz auf fast allen großen Ausstellungen ist zu verfolgen.

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