Bandbreite

Bandbreite

Frauen Bilder Räume

Künstlerinnen der GEDOK Schleswig-Holstein 2018

Ausstellung „Veränderung“ in der Königpassage Lübeck

23. August bis 5. September 2018

Herausgeber: GEDOK Schleswig-Hostein

Vorwort von Roswitha Siewert

Frauen, Bilder, Räume: drei Worte, die eine Assoziationskette für sich beinhalten und in Relation zueinander ein Weltbild zum Erschüttern bringen können. Eingebunden dann noch vom Katalogtitel: Bandbreite, gibt dem Ganzen einen um­fassenden Signalcharakter zwischen augenblicklichem Aufbruch und nostalgischer Rückbesinnung. Aber weit gefehlt, so einfach ist es nicht: die Künstlerinnen haben ihre Bildauswahl getroffen und ihr die ihnen passenden Kommentare zugesellt. Der künstlerischen Produktion, ob Malerei, Skulptur, Objekt, Druckgraphik, Fotografie, Installation, Karikatur, Pailletten-Applikation, Zeichnung, Collagen, Vielzahl der Medien, Design usw. steht das Wort bzw. Worte zur Seite. Die erklärende Kraft der Sprache gleicht, ersetzt, erhöht, karikiert die Macht des Bildes.

Trotzdem noch ein Vorwort.

Frauen: es sind etwa 50 künstlerisch Tätige, mit entsprechend vielen Bildern, dazu Fotos der Ateliers, Produktionsstätten, Situationen als Räume. Beim Durchblättern des Kataloges bleiben die Blicke immer wieder an Bildern hängen, verzetteln sich, sind fasziniert und bringen zum Nachdenken.

Der spontane Eindruck eines Überhanges an Malerei relativiert sich in überraschenden anderen Medien, auch Kombina­tionen mit Malerei. Abstraktion oder Gegenständlichkeit in vielen Variationen: contra, pro oder miteinander. Die Farbe S c h w a r z trumpft in vielen Formen und Farbnuancen auf. Die übrigen Farben fächern als vielfältiger Kosmos ihre Möglichkeiten auf.

Sie öffnen Innenräume wie Fenster in die Außenwelt, bleiben den Gegenständen und Motiven nahe oder lösen sie in Farben und Formen auf zu neuen Gebilden. Ebenen der Malfläche staffeln sich in Zwischenräume, in geometrische Par­zellen. Komplementär werden zwei Farben gegenübergestellt: die abgebildeten Gefäße und der umgebende Farbraum in einem lichtdurchlässigen, in die Tiefe gehenden Ton aus Gelb und Blau. Die schwarze Farbe wird nicht nur zeichnerisch, zart oder in expressiven Strichen und schwingenden Lineaturen eingesetzt, sondern auch als großflächige Malerei. Das Meer erscheint in spiegelnder, fast eisiger Flachsicht und zeigt gleichzeitig parallele Einblicke in Wellentiefen aus dynami­schen, starken Grau- und Schwarztönen. Lindenblüten und Wolken als Naturphänomene sind vor allem bizarr reduziert Zeichnerisches. Eine in sich variierte schwarze Fläche zieht ins Bild, lässt Schriftebenen, Gesichter, weiße Flächen erblassen und irritiert durch den Bildtitel mit den Worten: Ich will große Gefühle und Pistolenschüsse. Da kokettieren Kanonen im Blumenbeet. Die Versenkung in die penible Applikation von Pailletten zu einem installierten Tafelbild mit drei schwarzen Gewehren und einem rosaroten Herzen, eröffnet dem Betrachter Glitzerräume mit Herz und Schmerz. Schwarz, selten ein Aufleuchten von Rot, wird ein Bild im Bild zum verschlossenen Fenster. Titel als Verstärker des Inhaltes: Nein, ich bin nicht zuhause. Ängstlich, zweifelnd, unerbittlich blicken Jugendliche aus einem Gruppenbild den Betrachter an, dies in der Art einer alten Fotografie gemalt. Man erfährt, dass sich die Künstlerin als Passagier im Zug zu einem unbestimmten Sehnsuchtsland fühlt, wenn sie malt. Unterwegssein einmal anders. Als aktuelle, berührende Grenzsituation dazu in kleiner Gruppe: drei Kinder. Die differenziert schwarzen Hintergründe und zwischen Fotoeindrücken und Freiheit einer lockeren Malerei pendelnden Hauptfiguren veredeln und variieren die schwarze Farbe. Werden Klassiker der Malerei oder Kunstgeschichte einbezogen, dann kann das Meer oder der Himmel zu schwarzen, fließenden Lavaströmen werden: ein romantisch-abstrakter Maistil von heute, angelehnt an Caspar David Friedrich. Der Bleistift – ein Wort. Er ist auch klassisch künstlerisches Instrument und kann die Bildproduktion eines ganzen Lebens begleiten und Veränderungen aufzeigen.Tur­bulenzen der schwarzen Acrylfarbe bringen den Augen das Fliegen nah, erkennbare Strukturen, die sich in Kreisen auf­zulösen scheinen. In schwindelnde Höhen dagegen kann die täuschende Verknüpfung von Zeichnen und Fotografieren führen. Filigrane Treppengeländer kommen aus dem Nichts und führen ins Nichts. In der Malerei wird in Räume geblickt, Installationen und Skulpturen ergreifen Räume. Sie können grenzenlos sein oder Grenzen setzen.

Das geheimnisvoll Märchenhafte ist in „ein Mädchen steht im Walde“ ironisiert und umgekehrt: kein Pilz-Männlein, sondern Rotkäppchen tritt aus dem W a I d, am vorderen Bildrand steht bereits der Wolf und achtet auf das Mädchen, die rote Kappe ihm als Schutzschild zugewandt. Eine andere mehr romantisierende Walddarstellung zeigt in der Tiefe vor schwarzem Horizont eine blaue Eiform aufsteigen. Davor ist ein zeichnerisches Birkenwäldchen in Vertikalen strukturiert und über die ganze Bildfläche aufgebaut. Kleine Strichmännchen jonglieren wie Baummaserungen als Akrobaten in ei­nem anderen Wald. Mit dem künstlerischen Druckverfahren des Holzschnittes ist dem Schmerz der Bäume nachgespürt. Wie könnte das funktionieren? Blaugraue Schatten von Nägeln schweben über der Fläche. Ein Baumstamm, vielleicht wiederum eine Birke(?) ist übersät mit schwarzen Einstichen, dazu all überall ein Netzwerk von scharfen Lineaturen. Eine Vernetzung von Stämmen und Zweigen, immer wieder die B i r k e; in den Zwischenräumen fliegende Vögel, fliehendes Wild, all dies versetzt den Betrachter in poesievolle Frühlingsstimmung oder einfach nur Waldszenen als Landschaftsdar­stellungen, teils mit Figuren.

Geht die bildnerische Darstellung von Natur ins Detail, wählt sie Blüten, Zweige, Gräser, Halme, dann können Malerei, Fotografie, digitale Medien oder Gebrauchsgegenstände aktiv mitgestalten. Die spiegelbildliche Verdopplung ist ein ers­ter Schritt des Wachsens. Wenn aus dem Einzelnen ein additiv Serielles sich bildet, entstehen aus Blüten Blütenstraßen, aus farbigen gestapelten Strohhalmen transparente, leichte, temporäre Gebäude, durchleuchtete Skulpturen. Farbige gestrichelte Linien umbündeln Flächen, halten frisch wirkende, pulsierende, blaue Farbe. Am Ufer halb, halb schon im Fluss, stehend und fließend zugleich: nature vivante.

Stadtansichten, Fabriken fehlen nicht. Sie sind vielfarbig rhythmisiert in warmen dunklen Farben und geometrischen For­men. Sie zeigen aber auch den Tiefensog einer menschenleeren nächtlichen Straße mit Häuserreihen, die sich auflösend im Unendlichen verlieren. Mattes Licht erhellt gespenstig und versachlicht die urbanen Ebenen. Schlagschatten dramati­sieren die Farben der Nacht. Abstrakt, aufschwebend in gegenständlichen Resten kann die Nacht night/light, hell/dunkel einen Raum als space night in einem Triptychon darstellen.

Frauen, Künstlerinnen, legen ihre Sicht auf das aktuelle Kunstgeschehen offen und werden Teil von ihm. Sie bringen sich auch selbst mit ein. Es gibt Körperporträts, die klar den Umriss zur monumentalen Form aufzeigen, wenig Binnenzeich­nung, mit Freude am Detail. Mit Mitteln des digitalen Composings sind Narben auf Frauenkörpern geglättet. Das Erschei­nungsbild wirkt individuell und zeitlos. Klar umrissener Farbauftrag in unterschiedlichen Fragmenten kann die Frau selbst verdecken, maskieren, bekleiden oder als Erschöpfte auf einem Stuhl ausruhen lassen. Ferne Länder, ferne Moden geben alltäglichen Momenten erfrischend farbige Aufmunterung.

Verkleidungen können zur „Verstrumpfung“ von Stühlen führen und mit Witz eine figurative Skulptur in den Raum stel­len. Satire und Karikatur setzen Frau Afrika einen Panzer als Hutkreation auf den Kopf. Herr Nashorn und Frau Giraffe tanzen Tango im Wiegeschritt. Erstarrt in Erwartung stehen drei Frauen und ersehnen den flüchtigen Moment. Surreal stolzieren auf dünnen Drahtbeinen Kunst-Insekten. Dagegen sind kleine räuberische Tierobjekte unter Glas in eine Kunst­welt versetzt.

Die K o m b i n a t i o n zweier Arbeits-, Sicht-, Denkweisen, selbst zwei Farben können zu einem anregenden Aus­tausch animieren. Ein Motiv wird mit der Handykamera aufgenommen und mit Malerei dann aufgetaut. Bilder zwischen Realismus und Abstraktion schaffen imaginäre Räume, Menschen werden über farbige Flecken eingefangen. Das ewige Thema Gegenständlichkeit und Auflösung in Form und Farbe beschäftigt immer noch. So bleibt die rückwärtsgewandte Auseinandersetzung mit einem Grundgesetz der Moderne die ewig, zukunftsträchtige Reibungsfläche für Kunst, inhalt­lich erfreut und formal erfrischt der Blick auf Europa: Analoge und digitale Medien verbinden sich zu einem Miteinander aus Tradition und Innovation, zum Tanz der Jugend und Repräsentation der Schätze Europas.

Schließen wir die Augen und lassen die Bilder vor den inneren Augen in ganzer Bandbreite vorbeiziehen und öffnen sie wieder für die Betrachtung der originalen Bilder der Ausstellung „ Veränderung“.

Dr. Roswitha Siewert, Kunsthistorikerin