Vortragsreihe zur zeitgenössischen Kunst
in den 10 neuen EU-Ländern 2004
Einführender Vortrag gehalten am 13. September 2004 in der Volkshochschule Lübeck anlässlich der Ausstellung von Werken des ungarischen Künstlers András Végh.
1) András Végh
Wenn die These richtig ist, dass wir erst Europäer werden durch den gemeinsamen Anspruch, der sich in der Kultur verwirklicht, dann setzt die Ausstellung mit Werken des ungarischen Künstlers András Végh ein Signal. Vom 13. September 2004 bis 28. Oktober 2004 ist sie in der „VHS Forum für Weiterbildung Lübeck“ zu sehen.
Kunst ist das Band, das Europa zusammenhält. In seinen Bildkompositionen wird die vielfältige Anzahl von Einzelheiten und Motiven des Malens und der Stile gleichrangig zu einem einheitlichen Bild zusammengeführt. Bei dem bisherigen Blick Europas auf die ungarische Kunst wurden die Aspekte, die Végh einbringt, noch nicht wahrgenommen. Er überzeugt durch seine erzählerische Stärke in Farben und Formen, die sich als Unschärfe und Glut von Träumen an die Realität des Alltags – oder umgekehrt – koppelt. Die sprühende Vitalität seiner Bilder geht auf den Betrachter über und fesselt ihn.
2) Zur Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas 2010
Mit der Ausstellung von Werken des ungarischen Künstlers András Végh in Lübeck ist ein erster entscheidender Schritt getan, die genannten Rahmenbedingungen zur Bewerbung als Kulturhauptstadt auf ein reales Podium zur Diskussion zu stellen. Denn neben der gewählten deutschen Stadt wird eine Partnerstadt aus Ungarn den Veranstaltungen Europas 2010 ein Gesicht geben. Lübeck, das sich in der offiziellen Bewerbung als Kulturmarkt des Nordens versteht und auch so darstellt, hält für das tatsächliche Partnerland Ungarn ein freundliches Willkommen bereit mit der Freude auf neue Impulse. Da bisher noch keine eigentliche Beziehung zwischen Lübeck und Ungarn besteht, wolle man Ungarn ein Jahr lang, nämlich 2010, ein kulturelles Gastrecht in Lübeck zusichern. Für einige Wochen hat bereits jetzt – 2004 – die Kunst Ungarns ein vorkulturhauptstädtisches Forum mit der Végh-Ausstellung gefunden.
Die Kulturhauptstadt Europas 2010 hätte nicht nur den besonderen Schwerpunkt der Partnerstadt aus Ungarn zu signalisieren, sondern sollte Netze in alle übrigen 25 europäischen Länder aussenden und das Verhältnis in und auf Lübeck hin thematisieren und einzuklicken auf ein heute hin. Die offizielle Auswahl der Länder und Städte rund um die Ostsee ist getroffen, zwölf Monate volles Programm liegt vor. Ein Lübecker Bürgergast, der Journalist Andras Gergely aus Budapest, hat als „Sympathieträger“ Lübecks, das Tor zwischen Ungarn und Lübeck weiter geöffnet und über die EU-Erweiterungsaktivitäten Lübecks berichtet. Nach diesen fortschreitenden Öffnungen sollte ein Hinweis auf den richtungsweisenden Essay „Zauberwort Lübeck“ der Ungarin Magda Szabo nicht fehlen. Er wäre – fußballerisch gesprochen – eine Steilvorlage für Lübecks Bewerbung, so Martin Thoemmes in Lübeckische Blätter 2004/10 S. 149. Nehmen wir diese verbale Vorlage ernst und schießen mit Ungarn ein Tor – natürlich ein zauberhaftes – für Europa!
3) Erweiterte Kunst Europas (DIE NEUEN ZEHN)
Eine Vortragsreihe stellt die zehn neuen Länder der EU-Erweiterung vom 1. Mai 2004 als Kultur- und Kunstlandschaften in den Mittelpunkt. Wie Vokabeln, die mit guten und schlechten Vorurteilen bzw. Erfahrungen behaftet sind, aber auch Heimat oder Fremde sein können, wirken die Ländernamen in einer Aufzählung – zunächst: Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Slowenien, Malta, Zypern. Und doch sind sie ein Rahmen, der von Norden nach Süden ein neues Europa prägt und Altwürdiges,Vertrautes bewahrt und in Fassung bringt.
Geschichte und Geographie werden bedacht, wirtschaftliche Probleme nicht verdrängt, die Politik nicht außer Acht gelassen: und trotzdem soll die Annäherung über die kulturelle Schiene laufen. Die Zugkraft bzw. “Lokomotive“ ist und bleibt die Kunst von der Tradition bis zur Avantgarde. Darstellen, was aus der kulturellen Vergangenheit heraus in das erweiterte Europa eingebracht wird, aber auch wieweit dieses Einbringen auf die eigene Kulturentwicklung Rückwirkung zeigt. Dieser Prozess ist oft kompliziert, vielleicht wird offensichtlich, ob das Handeln und Denken der Künstler revolutioniert bzw. sie nur am Rande beeinflusst. Kunst als reizbare und reizvolle Membran der Vermittlung soll in Schwingungen gebracht werden und Anschauungen klarmachen, ohne zu überspannen. Weder Künstler und Künstlerinnen, bzw. Künstlerinnen und Künstler der internationalen Kunstszenen oder die nationalen offiziellen Landesvertreter, noch die in Emigration wirkende Kunstszenen (meist der Minderheiten in einem anderen Land), noch die Hinterfragung der Begriffe Ost- und Westkunst allein, auch nicht nur der erweiterte Kunstbegriff, s o n d e r n ein Anhören, Ansehen, Diskutieren sind nötig, um einen eigenen überdachten Standpunkt für die neuen Orte einzunehmen. Vielleicht wird so ein „Neuropa“ sichtbar.
Roswitha Siewert