Besucherbuch – Overbeck-Gesellschaft

Besucherbuch

Ausstellungen 1992 – 2002 in der Overbeck-Gesellschaft, Lübeck

Künstlerinnen und Künstler:

Carla Accardi * Rebecca Agnes * Caterina Aicardi * Jan Apitz * Elsbeth Arlt * Makiko Asada * Clemente Augusto * Georg Baselitz * Stefan Becker * Josef Beuys * Isabella Bocus * Reto Boiler * Monica Bonvicini * Wilhelm Bräck * Alexander Braun * Heribert Bücking * Lisa Brice * Christiana Capelli * Christine Clinks * Stephan Craig * Ursula Dannien * Hanne Darboven * Yael Davids * Mirta Domacinovic * Margrit Edelhoff * Esselmann + Gerntke * Eva & Adele * Feyerabend * Alec Finlay * Roland Fischer * Ippazzio Fracasso * Pia Fries * Stefania Galegati * Meinhard von Gerkan * Groth * Katharina Grosse * Inge Gutbrod * Sigurdur Gudmundsson * Friedemann Hahn * Jens Haaning * Häring * James Hanley * Jörg Herold * Helena Hietanen * Leni Hoffmann * Nina Hoffmann * Christoph Ingenhoven * Birgit Jensen * Zvika Kantor * Kaeseberg * Kazuo Katase * Clay Ketter * Gisoo Kim * Klara Klose-Lunacek * Anna Lea Koppen * Kiki Lamers * Anton Lederer * Rosa Loy * Anna-Lea Makovec * Matthieu Manche * Elena Menkowa * Ryan Mendoza * Simone Mangos * Susanne Messerschmidt * Eduard Micus * Una Moehrke * Möller * Ulrich Moskopp * Tomaharu Murakami *Esther Naused * Paloma – Navares * Carsten Nicolai * Emil Nolde * Dounia Oualit * Tony Oursler * Mimmo Paladino * Simona Palmieri * Marco Papa * Peter F. Piening * Cosimo Piga * Andreas Praetsch * Inge Pries * Bernhard Prinz * Marco Rambaldi * Neo Rauch * Tobias Regensburger * Raffael Rheinsberg * Gerhard Richter * Rieve * Fabrizio Rivola * Alexander Roob * Ren Rong * Anbtonio Rovaldi * Anila Rubiku * Andrea Sala * Andreas Schmid * Kiki Smith * Miron Schmückle * Schroeder * Axel Schultes * Norbert Schwontkowski * Sigrid Sigurdsson * Monika Simon * Stig Sjölund * Keith Sonnier * Simona Spaggiari * Emil Steffann * Pal Szacsvai * Koj Tanada * Kain Tapper * Thorvaldur Thorsteinsson *Mare Tralla * Tassos Triantafillou * Trance Femel Co * Per Traasdahl * URSULA * Dubrovka Vidovic * Mauro Vignando * Katharina Wibmer * Peter Weiss * Massino Zarantonello * Zerbe + Härder * Peter Zimmermann * Beat Zoderer


Das Besucherbuch

Das Buch ist mehr als ein Besucherbuch. Dieses Mehr zu fassen, kann mit Worten nur in Annäherungen geschehen, es verwirklicht sich im Durchblättern, Sehen und Lesen. Es bildet ein ganzes Novum aus zwei optisch unterschiedlich strukturierten Teilen: eine Ästhetik des Erfahrenen, Gebrauchten, Neuerfundenen der Ausstellungsbesucher auf über 60 Doppelseiten und einem zweiten Teil, – praktisch die unbenutzte, leere Hauptmenge des Buches -, der mit collagierter Fotomontage Stimmungsbilder einer zehnjährigen Ausstellungstätigkeit dokumentiert.

Es ist zunächst das Besucherbuch, das während der Zeit der Ausstellung „Vor der Stille“ von Sigrid Sigurdsson zum Nutzen von Eintragungen für alle Besucher bereit lag. Die Ausstellung fand vom 5. März bis zum 14. Mai 2000 in den Räumen der Lübecker Overbeck-Gesellschaft statt. Der Zeitpunkt im Milleniumjahr 2000, im Übergang vom 20igsten ins 21igste Jahrhundert, war bewusst gewählt. Kann eine so entscheidende Jahreszahl an der Schwelle auch einen Umbruch bedeuten? Gibt es Möglichkeiten im Bereich der Kunst, individuelle, gesellschaftliche und geistige Fäden als ästhetische Netzwerke aufzuspüren, die den Bogen von Tradition und Innovation und die aktuelle Gegenwart aufblitzen lassen? Vielschichtigkeit ist angesagt.

Aber der Reihe und den Fakten nach: “Vor der Stille“ hat eine chronologische Geschichte, die sich in unterscheidenden und sich entwickelnden Abläufen  in kunsthistorischen Ausstellungsereignissen zur Hochform darstellte, bis sich „ Vor der Stille“ in die „Architektur der Erinnerung “ integrierte, wandelte und sich 2009 zur Wiedereröffnung des Osthaus Museums Hagen 2009 im neuen, erweiterten Gewand zeigt. 1989 war das erste Bücherschrankobjekt mit den entscheidenden Büchern von Sigrid Sigurdsson, – auch einem Besucherbuch für St. Petri, dazu ein Tisch wie ein Altar für Bücher, nicht nur für das eine christliche Buch-, im Chor der Lübecker Petrikirche ausgestellt. St. Petri ist ein Ästhetikum an Bauform, auch eine Kirche ohne Gemeinde, die neue Wege zum Menschen über andere Formen der Kommunikation aus Religion, Ästhetik und Aktuellem suchte. Sigrid Sigurdssons Arbeiten waren vom Inhalt und der Form ideal für die weiße Weisheit der lichtdurchstrahlten Bauskulptur St. Petri. Weisheit, in Buch und Bücherregal bewahrt, überraschte und kam aus dunklem Schuppenverlies ans Sonnenlicht und überzeugte. So der erste Schritt.

Das Karl Ernst Osthaus Museum in Hagen engagierte sich für diese Arbeit, sie wuchs, uferte aus, bekam Struktur und organisierte sich als System zwischen Künstlerin, Museum und Besucher. Es gab die Keimzelle: die Buchobjekte der Künstlerin, es gab ausgeliehene Bücher der Besucher, die individuell ihr Buch als Autor  ausfüllten, es gab die Besucherbücher und auch die leeren auszuleihenden Exemplare. So kam es, daß diese Dreier-Konzeption sich ideal für die drei Räume der Overbeck-Gesellschaft anbot. Zur Ausstellung 2000 von Hagen nach Lübeck war dann ein Umzug vonnöten.

Das ist die eine Seite von „Vor der Stille“, die viel Mut und Organisation bedeutete. Die andere und entscheidende Seite war der transportierte Inhalt, der die Umzugsfracht und uns beflügelte.

Als wissenschaftliche und vor allem kunstwissenschaftliche Grundlage mag auf zwei Arbeiten hingewiesen sein:

  • 1995 Sigrid Sigurdsson: “Vor der Stille“. Ein kollektives Gedächtnis. Hrsg. Von Michael Fehr und Barbara Schellewald (Wienand Verlag)
  • 2007 Martina Pottek: Kunst als Medium der Erinnerung. Das Konzept der OFFENEN ARCHIVE im Werk von Sigrid Sigurdsson (VDG, Weimar)

Gehen wir von Innen ins Außen, beginnen wir mit dem vorliegenden Besucherbuch. Es lässt die großen Gedankengänge über Erinnerung und Gedächtnis auf besondere Weise transparent werden. Dies kann in banal naiven Äußerungen bis hin zu hehren Aufschwüngen und allen schillernden Zwischentönen geschehen, aber auch den klaren Sachverhalt der Realität aufzeigen.

Die erste Besucherbuchseite, praktisch die Innenseite des Umschlags: Unter der Einladungspostkarte, oben auf der Seite  mit einem einladenden Foto zum Buchstöbern in der Bibliothek und unten mit den informativen Formalien zur Ausstellung, darunter steht das Datum „5. März 2000 Besucherbuch“ von Sigrid Sigurdsson handgeschrieben. Auf der gegenüberliegenden Seite, auf der Innenseite des Deckels, noch die Einladung von einst – 1989 in die Petrikirche -. Dazu ein Foto, das das erste Schrankelement mit Arbeitstisch im Altarraum zeigt und die Künstlerin beim Aufschlagen eines ihrer Bücher.

Der erste Teil des Besucherbuches: BESUCHEREINTRAGUNGEN.

Es beginnt mit der Erinnerung an den U-Bootbunker „Kilian“, einem Denkmal-Mahnmal in Kiel und endet mit einem Porträt als Bleistiftzeichnung, das mit einer Plastikfolie geschützt ist. Anfang und Ende werden mit einer handgeschriebenen Einschrift kommentiert. Ersteres mit den Worten: „Wer aus der Geschichte lernen will, muß ihre Zeugnisse auch zulassen.“ Von JR 3.3.2000

Und das Letztere: “Wird die Stille eintreten? Plastikfolie hält ewig!“ Von Julia mit einem gemalten Sternchen auf dem i. Damit sind die Grundthemen von Geschichte und Vergänglichkeit angeschlagen, aber auch Generationsprobleme und das Jetzt werden hinterfragt. Dazwischen eine Vielfalt aus Fotos, Briefen, Zeugnissen, Zeichnungen, Malereien, Brandbildern, Fundstücken aus dem Alltag moniert, kleine Objekte, Zeitungen, Artikeln, Slogans usw. Ein Kommentar im Besucherbuch bringt es auf den Punkt: Ein „Simmel – Sammel – Surium hält mich fest und haut mich um.“ Von Bruhns 5/2000.

Besonders reizvoll wird Kommunikation der Besucherinschriften aufeinander und auf das Medium Buch “.. jetzt … haben sie umgeblättert – aber die Geschichte – unsere Vergangenheit – lässt sich nicht einfach umblättern“ mit einem Pfeil wird zurück auf den Anfang auf „zurück auf „Los“ gewiesen. Ohne jeden einzelnen Eintrag in diesem Zusammenhang würdigen und interpretieren zu können und auch zu wollen, doch ein paar Einblicke:

  • Die Natur als Quelle des Lebens und Vergehens: der Baum als landschafts-überragender Bergahorn im brillianten Farbfoto
  • Sonne, Wolken, Blätter im Wind, Spuren im Sand, kommen und gehen in feinziselierter Zeichnung in entsprechenden Farbtönen
  • immer wieder Blümchen mit Innenkreis und umrundende Blütenblättern in Farbstift
  • Herzchen
  • Sterne als Ideale . . .
  • Die Freude: es wird Frühling

„Sag mir wo die Blumen, . . . Mädchen, . . . Männer, . . . Soldaten sind, wo sind sie geblieben“, das durch Marlene Dietrich weltweit bekannte Lied, steht als Text alternierend in Rot und Grün zu lesen, am 21. März 2000 eingetragen. Die Frage nach einer neuen Welt, die ein neues Jahrhundert oder Jahrtausend bringen könnte, wird unterschrieben mit „Die Hoffnung bleibt!“

Neben den globalen Themen von Krieg und Frieden ist die persönliche Betroffenheit zu lesen: Erinnerungen an den liebsten Menschen werden in den nachgezeichneten Handumriß eingeschrieben. Selbstvergewisserung durch den Blick in den Spiegel als Entdeckungstat der eigenen Erkenntnis. Love und Liebe immer wieder.

  • Lübeck auf der einen Seite als „Giftmüllkönigin Europas“ in Kreuzform, auf der anderen Seite dann Kulturträger im Europäischen
  • das Schabbelhaus wird z. B. bis zu den Guelfen und Ghibellinen zurückverfolgt, in der Katharinenkirche hängt ein Tintoretto . . . .
  • „Die Zeit“ (2. März 2000) berichtet vom „neuen Menschen“
  • „Der Spiegel“ (3.10.1994) fragt „Doch Machtwechsel?“
  • Die Anzeige zur Fernsehsendung „Big Brother“ mit zwei fragend und herausfordernd blickenden Teenis wird gekrönt von zweifelnd zur Seite Seite sehenden Frauenaugen – Text: Big mother is watching YOC

Wie eine Überleitung zum zweiten Teil mutet ein Beitrag an: Auf der linken Seite zwei Fotos: der ummauerte Behnhausgarten (hier befindet sich der Overbeck – Pavillon) mit Ausblick auf die Bürgergärten und darunter ein horizontal symmetrischer Weitblick aufs Meer als schwarz-weiß Foto. Auf der rechten Seite hat jemand verschiedene Materialien wie Alufolie, gelbe Plastik, Topfkratzer, Watte, Fellimitat, Kork usw. auf kleine viereckige Teile geschnitten und in Reihung aufgeklebt. Dazu die Frage „Was wird hier noch in 100 Jahren kleben?“ Ein weiterer Jemand gibt die Antwort in der Frage „– der Schweiß der Mühe ?“

So ein Blick aus Emotionen, Frustrationen gepaart teils mit Zeitgeschichtlichem und Geschichtlichem der globalen Gesellschaft, aber aufgeschmückt auch mit den Erträgen des kleinen individuellen Gärtchens von Jedermann. Eine kurzweilige Lektüre und Bildbetrachtung!

Beat Zoderer

Ein Beispiel zur Kunst im öffentlichen Raum:

Beat Zoderer „Schrangen in Lübeck“

Der zweite Teil des Besucherbuches: DOKUMENTATIONEN ÜBER 10 JAHRE AUSSTELLUNGEN UND AKTIVITÄTEN IN DER OVERBECK-GESELLSCHAFT VON 1993 BIS 2002

Die Besuchereintragungen weisen den Weg in die Kunstdokumentationen in auferhellender Weise: Wenn es so ist, dass „Unsere Tage wie Schatten sind“ wie eine Besucherin einschreibt, aber auch der „Kuss für Mnemosyne“ nicht nur in aberwitzigen Zeichnungen in aller Widersprüchlichkeit anzusehen ist, dann kann das tätige Erinnern eine Strategie für die Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sein. Das Stichwort Mnemosyne, griechisch “Erinnerung“, ist eine Titanin, Tochter des Uranos und der Gaia. Sie gebar mit Zeus die neun Musen. Die neun Schutzgöttinnen der Künste und später der Wissenschaften, überhaupt aller geistigen Tätigkeiten, sind eine willkommene Fanfare, um in das reichhaltige Mosaik der erinnernden Ausstellungstätigkeit rückzublicken, – wieder wach zu küssen, natürlich mit Mnemosyne!
Wie nun in einem zusammenfassenden Kurzverfahren, durch die verbleibenden Seitenanzahl des Besucherbuches vorbestimmt, die Tätigkeit plausibel zu machen? Ich wählte ein optisches Fotocollage–Verfahren, das dokumentarisch und chronologisch, meist auf zwei Seiten, einen authentischen und ästhetischen Stimmungseindruck wiedergeben sollte. Ohne jetzt jede einzelne Aktivität noch einmal in Worten zu wiederholen – der Besucher besser Durchblätterer – hat bis zu dieser Seite seine eigenen Lese- und Seherfahrungen gemacht;  doch ein paar Hinweise nachträglich:

Es beginnt mit der Klarheit des orangenroten Quadrates mit dem goldenen feinumkreisten Overbeckzeichen von Alfred Mahlau. Zentral dann wiederum in der Fotocollage das goldene O, umgeben von den welkenden Tulpen des Abschiedsstraußes in weißer Aaltovase, Kataloge, Postkarten: “Kleine Dokumenta-Kunst nach 1945“, Postkarten der Accardi usw. Damit war aus einer fast wehmütigen Endzeitstimmung im eigenen Arbeitsraum das inhaltliche Layout für die Darstellung der Ausstellungen vorbestimmt.

Ein Neubeginn beinhaltet ein Aufarbeiten des bereits Vorhandenem und Abgelaufenem und die Öffnung für Neues: Die Bibliothek der Kataloge wurde gesichtet, sortiert, erlesen und geistig erneut angeeignet; die Plakate ausgestellt und die Sammlung vervollständigt. Der Pavillon vom Architekten Wilhelm Bräck wurde renoviert, frisch geweißelt. Dem malerischen Urgestein des Nordens  Emil Nolde die erste Ausstellung 1993 gewidmet und abrundend eröffnete eine Podiumsdiskussion die Tore für die Gegenwartskunst, wo Kunst sich selbst Maßstab sein sollte, in den öffentlichen Raum sich erweitern und vordrängen musste, um fröhlich mit der Vision einer Kunsthalle für Lübeck zu liebäugeln.(Siehe 1994: Einladung zu Podiumsdiskussion)

Dann laufen die Ausstellungsjahre chronologisch, mit kleinen Unterbrechungen, sortiert ab. Sie haben Höhepunkte, Neubeginn und auch Provokationen.

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Japan in seiner ästhetischen Verklärtheit und in seiner farbenfrohen Alltäglichkeit war mit der Ausstellung von M u r a k a m i s schwarzroter Malerei und dem Aufstellen eines Motorrades, einer „Honda“, ein provozierendes Ausstellungsevent. Im Beiprogramm spielte Prof. Friedhelm Döhl seine sieben  „Haikus“ am offenen Flügel, Yoko Tawada las aus ihren Büchern. Bernhard P r i n z  zeigte eine neue Rauminstallation aus Fotoarbeiten und Skulpturen. Die „Junge Kunst international“ J K I `94 begann sich zu etablieren. Jedesmal mit eigenem Katalog!- Der Overbeck-Preis für bildende Kunst wurde Kain T a p p e r übergeben, er bestückte auch die Katharinenkirche. Norbert S c h w o n t k o w s k i s Malerei stellte Grundsatzfragen von Farben und menschlichen Existenznöten. Zusätzlich zum Programm wurde eine Präsentation von Ideen, Entwürfen und Modellen zur Lübecker Musik- und Kongresshalle ( MUK) vom Architekten Prof. Meinhard v o n   G e r k a n  gezeigt. Ein informativer Katalog konnte entstehen. Ein high light an ritueller neuer Kunst brach in den Pavillon und Behnhausgarten mit den Arbeiten von Mimmo P a l a d i n o  in Lübeck ein. Ein Holzpferd lag  wie ein Opfer als Mahnmal in der Katharinenkirche. Die Ausstellung entstand in Zusammenarbeit mit der Münchner Galerie Bernd Klüser. Die traditionelle J a h r e s g a b e n – Ausstellung im Kunstverein wurde hinterfragt und modisch gemanagt, eine lustige Verkaufsausstellung. So verlief der Einstieg unter dem Overbeck – Zeichen.

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wurde ein quirliges Kunstjahr: fragil und feinnervig ästhetisch mit den Farb- und Wachsarbeiten von Nina H o f f m a n n . Elsbeth A r l t spürt in einem gemalten „Tageslauf“ den künstlerischen Farberkenntnissen von Philipp Otto Runge nach. Wieder erfolgt mit der Jungen Kunst international,  J K I `9 5, Neuland  im Kunstgeschehen. Die Vision einer K u n s t h a l l e für Lübeck wird mit einer Ausstellung und Vorstellen dreier neuer Museen und ihrer Konzepte angeheizt. Ein Verein gründet sich und der Architekt Ivan Chlumsky entwickelt und schafft  die Idee einer Kunsthalle auf dem Schrangen. Ein Modell wird erstellt. Eine Sonderausstellung für die Präsentation einer Jahresgabe wird mit Holzskulpturen von Peter F. P i e n i n g gefeiert. Im Nachhinein hat die Ausstellung „Marineschule“ mit Arbeiten von dem damals nur wenigen bekannten Neo R a u c h, Künstler aus Leipzig, ein Ruhmesblatt für die Overbeck – Gesellschaft  entwickelt. Ein Katalog konnte mit einem der ersten Gespräche, die Neo Rauch über seine Arbeit gab, veröffentlicht werden. Ort des Gespräches war das Dach der Baumwollspinnerei und sein Atelier. Heute zählt er zu einem der gefragtesten Künstlern Deutschlands. Dann folgte  unter dem Aspekt des Nachholens die Ausstellung für einen bekannten der Weltkunstszene J o s e f   B e u y s : aus seinem graphischen Werk.

U n t e r b r e c h u n g  in dem Ablauf der Ausstellungen: hier zeichnet ein B e s u c h e r  einen Christuskopf mit Herz und Träne; dazu mit gelbem Farbstift geschrieben: Kennst Du das Land, wo die Zitronen blühen?

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Dem Medium Zeichnung werden die Wände des Pavillons mit Alexander R o o b s Bildroman „Der Stachel der Bequemlichkeit“ gewidmet.
Der belebende Aufschwung, der durch die Sehnsucht des Nordens nach dem Süden anhält; seine Kunst, seine Natur, seine Poesie meint: In „Italia und Germania“ hat er in einem feinsinnigen anrührenden Gemälde von dem in Lübeck geborenen Friedrich Overbeck sein Meisterwerk. Im Lübecker Behnhaus ist seine Zeichnung zu sehen. Aber es gibt auch die Sehnsucht des Südens nach dem Norden: Paloma  N a v a r e s  hat in ihrer Ausstellung „Nymphen, Venus, Evas und andere Musen“ eine Fotoinstallation mit dem ewigen Licht als flackernde Herzen der beiden „Italia und Germania“ zur Ausstellung angefertigt. In der Begeisterung für Italien und die ungebändigte Sehnsucht zeigten wir Bilder von Carla A c c a r d i mit ihren farbsicheren Umrissen und gezielten Farben.

Ein B e s u c h e r lässt im Buch die Regenbogenfarben in der oberen rechten Ecke aufgehen.

Der Isländer Sigurdur G u d m u n d s s o n  provozierte mit seinen kopflastigen schweren Skulpturen in Kombination mit Ikea Möbeln. Ironie aus Alltag und großer Kunst. Engagiert und effektiv passierte wiederum die „Junge Kunst international 96“. Eine Künstlerin, die heute ihre Kunst in  Spitzenpositionen zeigt, ist Katharina G r o s s e. Sie verhängte die Wände des Pavillons mit türkisblau bemalten Papierbahnen.

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Dieses Jahr beginnt mit Kathedralen und Boxkampf. Roland F i s c h e r liefert die klaren monumentalen Fotos. Nicht nur Boxkämpfe als impressionistische Farbfotos zeigen sich dem Besucher: Im Pavillon findet ein Boxkampf statt. In der Bahnhofsvitrine und in der Löwenapotheke sind große Fotos von Fischer ausgestellt. Workshops im Kunstverein sind beliebt: Man kann mit dem Kupferstecher Heribert B ü c k i n g  üben. Als Ausstellung folgt „desaster & ikonen“ mit Arbeiten des Leipzigers K a e s e b e r g. Malerei und Skulpturen. Ein raumfüllender, leerer Thron wird Ort eines Eröffnungsgespräches.

Ein feist lächelnder Buddha: die Zeichnung eines B e s u c h e r s unterbricht mit „Freude und Zufriedenheit“ den chronologischen Bericht der Ausstellung.

Chronologie bis zum Erbarmungslosen in Reihungen dann mit einer eingeschobenen Ausstellung für die nicht zustandekommende Ausstellung über den Architekten Aldo Rossi: „Soll und Haben“ und das „Welttheater“ von Hanne D a r b o v e n, eine bravouröse Inszenierung mit Arbeiten einer Weltklasse Künstlerin, ideal im Overbeck-Pavillon; sie hatte das Zeug einer Dauerausstellung. – Wieder folgte die JKI 97 mit zehn jungen Künstlern aus bis- her noch nicht vorgestellten Ländern. Dem folgte ein Hype mit dem Auftritt von Werken von Georg  B a s e l i t z. In St. Marien hing der Vorhang“ Anna Selbdritt“, im Ausstellungspavillon gab es Helden, Adler und die Holzskulptur des Pferdes, das im Vorhang im Kirchenraum als Spielzeug von Johannes wiederzuerkennen war. Baselitz selbst  war auf einem Rundgang durch Lübecks Museen  fasziniert von Munchs „Linde`schen Kindern“ im Behnhaus. – Es folgte Leni H o f f m a n n mit ihrem Material: Knete, mit dem sie die Struktur des Pavillons neu – von Innen und Außen – umriss, Holz vor den Pavillon stellte und versperrte.
 
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Noch einen Schritt weiter gingen Stefan  B e c k e r und Andreas S c h m i d, indem sie den gesamten Pavillon in eine Licht-Raum- Installation umwandelten. Dieses Jahr ist der achtzigste Geburtstag der Overbeck – Gesellschaft zu feiern. Dann „Legenden leben lang“: Friedmann H a h n  zeigt alte Filmhelden und Künstler in Ölbildern, darunter Humphrey Bogart und neben anderen auch Edvard Munch , alles in leidenschaftlicher Ölmalerei. Kazuo K a t a s e taucht den Pavillon in unnachahmliche, atmende Blautöne und lädt den Besucher zu einer Winterreise ein. Das Kasseler Theater spielt in Lübeck  mit einem Bühnenbild von Katase  „Die Legende des armen Heinrich“ von Tankred Dorst. 2000 gestaltet er das Bühnenbild zu Lorcas „Bluthochzeit“ im Lübecker Theater. Wieder ist es an der Zeit, die J K I ` 98 zu zeigen. Nun gilt es den 8 0 . G e b u r t s t a g  d e r  O G zu feiern. Eine Liebeserklärung an die Kunst und an die Overbeck-Gesellschaft sollte es werden. Aber wie? Viele Mitglieder wollen ein Danke mit Gaben sagen, andere halten sich selbst für Künstler, wieder andere sind es: erklärte, ausgebildete Künstler. Wie alle unter einen Hut bringen? Der Kunstmagier Raffael  R h e i n s b e r g erhält die Aufgabe und schafft es, alle unterschiedlichen Künstlerindividuen in einer Ausstellung zusammenzuführen. Ein einmalig anrührender Katalog dokumentiert das ganze Geschehen von roten Geburtstagsrosen über Kreuzweg bis zum Amiga . . .

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Poetisch umhüllt von “Feuer, Eis und Luft“, zieht ein gemalter Bilderzyklus ins Neue Jahr. Der Künstler ist Ulrich M o s k o p p, seine Werke operieren um und mit dem rechten Winkel. Er malt ein Bild in der Bahnhofsvitrine zur Freude vieler Reisender. Die so schön und harmlos daherkommende Ausstellung „Architektur in Architekturzeichnungen“ mit dem Architekten Christoph I n g e n h o v e n und dem Zeichner Peter W e l s führte später zu heißen Diskussionen, als ein moderner Bau Ingenhovens auf dem Lübecker Marktplatz seinen Baukörper und seine Fassade zeigte. In einem Workshop mit Esther N a u s e d entstand von vielen Malern ein Werk „Memory“, dass in der Bahnhofsvitrine mit einer kleinen Vernissage ausgestellt wurde. „Kleider machen Fotos“- unter dieser Überschrift stellten Margrit E d e l h o f f als Modedesignerin und Ursula D a n n i e n als Fotografin in selbstverantwortlicher Regie aus. Tänzerinnen der Gruppe „leiseblau“ präsentierten die Mode im Behnhausgarten. Die Neueinsetzung des Overbeckpreises für bildende Kunst durch die Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Tätigkeit, der  „G e m e i n n ü t z i g e n“, anlässlich des 80. Geburtstages der Overbeck – Gesellschaft, stellte die Skulpturen und Fotos des ausgewählten Preisträgers Stephan C r a i g  (Nordirland) aus. Seine Skulptur “Pavillon mit Camera oscura” stand in der Lübecker Königspassage. Eine Kinder-Ferienpaß-Aktion gestaltet mit Farben und Zweigen kleine Kunstwerke, die inspiriert waren durch Exponate der J K I `99. In den öffentlichen Raum, genau auf den Asphaltboden des Schrangen, ging der Schweizer Beat Z o d e r e r. Neben der Bodenmalerei, die zwischen innovativer Kunstaktion und fröhlicher Spielwiese jonglierte, gab es im Pavillon eine Ausstellung mit Malerei, Objekten und Installationen.

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Ein balancierender Elefant hing von der Decke herab, ein Werk von Zvika K a n t o r. Er stellte seine mysteriös-komischen Installationen zusammen mit den kurios-märchenhaften und utopischen  Malereien von Inge P r i e s aus. Titel der Ausstellung: „…als das Wünschen noch geholfen hat“. In diesem Jahr ist der Schritt ins neue Jahrtausend –  auch künstlerisch – zu bedenken: ein geeignetes Mittel ist das Buch als Kunstwerk. Ein Ort der leeren Seiten, die sich öffnen und anbieten : die Erinnerung an das Vergangene, Bedacht dem Gegenwärtigen gegenüber zu pflegen und Visionen des Zukünftigen festzuhalten. S i g r i d   S i g u r d s s o n s   „V o r   d e r   S t i l l e“ war das geeignete Ausstellungsprojekt, das das Vergangene zusammenfasste und sich Neuem öffnete. Neben vielen persönlichen und allgemeinen Fragen wird an der entscheidenden und teils bedrückenden Frage gearbeitet. Sie heißt: „Wie lebt man mit der Vergangenheit, die nicht in der Gegenwart heimisch werden will, sich aber weiterhin in der Gegenwart auswirkt und in den Blick auf die Zukunft miteinfließt ? “ Kunst als Mittel der Erinnerung.
Dagegen wird mit den Arbeiten von  Pia F r i e s , das Medium Malerei zum Maßstab und in atemberaubenden Farbschwüngen neugesetzt. Ungewohnt unheimlich  mit Knöpfen und  in Filz kommen die Figuren von Alexander B r a u n in Installationen und Videoarbeiten daher. In Filzbildern tummelt sich der Tod oder Farbkreise schweben über Bildflächen. Mit  E v a   &   A d e l e  zieht ein Kunstereignis in und durch Lübecks Stadtbild. Nicht nur eine in rosa getauchte Präsentation der künstlerischen Werke färbt den Pavillon ein. Eva und Adele kippen den Kunstbegriff um und gehen als lebende Kunstwerke zu den Menschen, den kulturellen Institutionen vom St. Annen Museum bis zum Cafe Niederegger. “Logo“, so nannte sich die Ausstellung; logischerweise war sie ein Erfolg. Erfolgreich waren auch 25 Leuchtskulpturen von Kiki  S m i t h im öffentlichen Raum. Über der Pfaffenstraße leuchteten Eule, Eichhörnchen, Katze und Vogel als Galerie am Abendhimmel der Altstadt. – Praktikantinnen, ob Schüler oder Studenten, sollten sich als Kuratorinnen üben und eine Ausstellung durchführen. Christiane H o l m wählte ein lübeckisches Thema: das Wunderkind Christian-Heinrich Heiniken, das von der Künstlerin Ingke G ü n t h e r unter dem Titel „Himmel, Brust und Zwirn“ mit Wachsobjekten, Aquarellen und Malerei, dazu Vorträgen und Aktionen – leider nur für drei Tage –  Aufsehen erregte.

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Ryan M e n d o z a malt Elegien in Schwarzweiß nach alten Fotos. Eine attraktive Ausstellung, die sogar Jay Jopling vom White Cube in London nach Lübeck lockt, nimmt ihren Lauf. Eine üppiger Katalog konnte entstehen und eine Lesung mit Schauspielern des Lübecker Theaters versetzte die Besucher in Krimi-Stimmung. Die spielerischen Lichtorgien des großen Lichtkünstlers Keith S o n n i e r leuchteten im Pavillon um die Wette. Bekannt ist sein „Lichtweg“ am Münchner Flughafen. Den Lübecker Bahnhof mit einer Neon-Plastik von Sonnier künstlerisch zu akzentuieren, scheiterte – leider. Es muß nicht immer der ganze öffentliche Raum sein, in dem sich Kunst zeigt: es kann auch mal im halböffentlichen Raum Kunst stattfinden. Dieser Ort war das L ü b e c k e r
S t a n d e s a m t. Viele Gründe für die Kunstaktivität liefen zusammen: in der „Lindeschen Villa“ in der RatzeburgerAllee hielt sich einst auch Edvard Munch auf. Friedmann Hahn hatte 1998 in seiner Ausstellung  in der Overbeck – Gesellschaft  ein zweiteiliges Bild „Edvard Munch mit Modell um 1904“ gezeigt. Der Gedanke lag nahe, ein temporäres Gastspiel des Bildes an dem Ort zu geben, das Munch als Gast und Freund des Lübecker Augenarztes Dr. Max Linde viel bedeutete. Ein frisch getrautes Ehepaar ließ sich zur Vernissage davor fotografieren. Auf der Litfaßsäule der Lübecker Puppenbrücke war auf rotem Grund das Doppelgemälde in großen schwarzweiß Kopien Gesprächsstoff in der Stadt. Eine andere Aktivität zum Internationalen M u s e u m s t a g dieses Jahres wurde das Bild „Italia und Germania“ von Paloma N a v a r e s gezeigt, dazu die Fotografien von Ursula D a n n i e n zu diesem Thema. Statt der JKI wurde 2001 J u n g e   K u n s t   a u s   I t a l i e n gezeigt und damit wurde die immerwährende Sehnsucht des Nordens nach dem Süden der nordischen Junisonne ausgesetzt und hellte auf. Andreas P r a e t s c h nahm das Thema Kunst und Architektur direkt beim Wort und wandelt den gesamten Pavillon in eine Außen- und Inneninstallation. Ganz anders kam das Thema der Architektur in der Ausstellung M o d e r n e  A r c h i t e k t u r  i n  S c h l e s w i g – H o l s t e i n  1920 – 1937 auf die Besucher zu. Der Ausstellungspavillon von Wilhelm Bräck war selbst ein zu besichtigendes Kunstwerk. Die von Ulrich Höhns vorbereitete Ausstellung mit Katalog hatte einen Besucherrekord. In der ersten Museumsnacht Lübeck wurde „Vom Dach gelesen“. Andreas Hutzel vom Theater Lübeck las Briefe und Texte zur Baugeschichte des Pavillons. Jörg H e r o l d widmet seine Arbeit einen Tag aus dem Leben des Josef B. 16.03.1944. Es ist der Tag des Absturzes von Josef Beuys auf der Krim. In Form einer Projektbeschreibung mit Foto, Film, Installation und einem kleinen Katalog in Russisch und Deutsch wurde das Kriegsthema fassbar.

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Die Stadt als nächtlich erleuchtete Landschaft ist in der Malerei von Birgit J e n s e n  moderne Landschaftsmalerei, die im Siebdruckverfahren entsteht, aber das Auge registriert im rückkoppelnden Erinnerungsverfahren – fast einschwingend – ein digitales Bild. Den Abschluß zeigen Installationen , Videos und Zeichnungen von Monica B o n v i c i n i. Sie erhält den Overbeck-Preis für Bildende Kunst 2002. Ein Preis der Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Tätigkeit, aus der Einmaligkeit zum 80. Geburtstag ist nun eine wiederholbare Tradition geworden. Die Mutter-Gesellschaft unterstützt die Tochter und kräftigt sie im Sturmwind der zeitgenössischen Kunst.

Im Besucherbuch zu „Vor der Stille“ von Sigrid Sigurdsson folgen noch reich bebilderte Seiten der Bahnhofsvitrine und Argumente für die Litfasssäule und ihre Kunst. Vortragsaktivitäten in dieser Zeit und der großgeschriebene DANK an alle, die am Gelingen der Overbeck-Gesellschaft mitarbeiten. Sollte jemand nicht genannt sein, so kann er sich nachträglich eintragen oder einen Zettel einlegen.

Als Ausklang folgt dieser zusammenfassende Text. Wir sind am Anfang. Klappen wir das Buch zu und beginnen von Neuem.

Roswitha Siewert