Polen

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Ein Land, das von Großmachtsinteressen immer wieder zerrissen wurde, aber eigenwillige und richtungsweisende Orientierungen für Europa errungen hat.

Abb. Artur Zmijewski, Singing Lesson 2, 2003

Vortrag von Roswitha Siewert am 1. Februar 2005 in der Volkshochschule Lübeck

Die Geschichte zwischen Polen und Deutschland ist sehr schwierig und widersprüchlich. Die Beziehung ist mit sehr viel Problemen und Schuld verwoben. In der Europäischen Union sind nun beide Völker zu einer gemeinsamen Zukunft zusammengeführt.

Ein kurzer Rückblick einer tausendjährigen Geschichte: Für einige vielleicht entbehrlich, aber für viele eine Erinnerungsstütze: Es begann 965/66. Landkarten als Illustration einer schicksalsschweren Geschichte. Das freundliche Sahara-Orange gibt die Ausdehnungen Polens in den einzelnen Jahrhunderten an.

I. 965 – 1370 ist die Piastenzeit. Das Gründungsjahr 965 beginnt mit der Taufe des Piastenfürsten Mieszko. Die Slawen vom Stamm der Polanen nehmen das Christentum an. Die Ottonen, die Kaiser des Heiligen römischen Reiches sehen in den aufstrebenden Fürstentum des Ostens die Herrscher eines jungen Europa. Otto III besucht 1000 Gnesen, die damalige polnische Hauptstadt: was als Meisterstück diplomatische Anerkennungspolitik angesehen wird. Man expandiert, bekehrt z.b. die heidnischen Pommern. Holt deutsche und jüdische Siedler ins Land. In Krakau wird die Universität gegründet. Am Ende um 1370 ist das Land vereint und erscheint als multireligiöser Vielvölkerstaat.Polen ist fester Bestandteil des christlichen Abendlandes. Nur der letzte Piast Kazimierz ist ohne männlichen Nachfolger.

II. Die Zeit der Jagiellonnen. Jagiello ist ein litauischer Großfürst. Eine Geschickte Heiratspolitik vergrößert das Land. Er lässt sich taufen und darf dann die polnische Königstochter Jadwiga heiraten. Polen –Litauen vereint, reicht vom Mare balticum bis zur Krim. Der deutsche Orden, Kokurrent für Polen in der Christianisierung, wird in der Schlacht vom Tannenberg besiegt, 1410, damit ist der Weg zur Ostsee frei. Das goldenen Zeitalter der Jagellonen bricht an. Eine künstlerische Kostprobe aus dieser Zeit: Die Schönen Madonnen, hier die Krakauer von 1410 ziehen auf die Altäre. Vom 14. bis 17. Jh. spricht Polen entschieden in der europäischen Politik mit. Kopernikus formuliert in Polen das neue Weltbild.

III. Der lange Niedergang beginnt. Starke Nachbarn umgeben das Land: im Süden das osmanische Reich, im Norden die schwedische Großmacht im Osten das mächtig werden Russland unter Iwan dem Schrecklichen. Adelsrepubliken unter den Schweden und Sachsen. Preußen und Livland gehen verloren.Im Innern ist der Adel zerstritten, , das Land geplündert, die Armee veraltet. Die „ Blutige Sintflut“ vernichtet Städte und Dörfer, tötet die Hälfte der Einwohner. Es heißt im 18. Jahrhundert dass die schwarzen Adler Russland, Preußen und Habsburg über Polen zu kreisen beginnen.

IV. die polnischen Teilungen. 1795 verschwindet der polnische Reich von der Landkarte Europas. Grün holt sich das Kaiserreich Russland einen Anteil, rotorange die Habsburger und lila die Preußen. Die Hoffnung bleibt, dass die Teilungsmächte sich entfremden und einen großen Krieg beginnen, in dem die Karten neu gemischt werden.

V. und VI. Die Knechtschaft endet mit dem I. Weltkrieg. 1918 erklärt Polen sich zur Republik. Der Versailler Vertrag schreibt 1919 die Unabhängigkeit und die Westgrenze vor. 20 Jahre später kommt es erneut zum Zusammenbruch. Am 1. September 1939 überfallen Hitlers Truppen Polen. Die Deutschen vernichten in den Konzentrationslagern Europas Juden.
1945 werden die Grenzen neu bestimmt: Stalins Sowjetunion behält die Ostgebiete und Polen erhält Schlesien, Ostpommern Danzig und Teile Ostpreußens.
Im polnischen Untergrund sammelt sich der Widerstand, es kommt 1956 zum Aufstand. Gründe gibt es viele. Die schlechten Lebensbedingungen und auf sich allein gestellt, scheitert der Aufstand.
Der Funke der Freiheit ist gezündet. Immer wieder flackern Aufstände auf. Die Rückkehr nach Europa wird durch Westverschiebung und Westbindung weitergeführt. Eine Völkerwanderung setzt ein.
8 Millionen Deutsche werden vertrieben, die leeren Gebiete werden mit zwei Millionen Polen, die wiederum von den Sowjets aus Litauen, Weißrussland und der Ukraine vertreiben werden.( die Pfeile geben die Bewegung an).
Am 7. Dezember 1970 wird in Warschau der Vertrag über die Normalisierung zwischen der Bundesrepublik und der Volksrepublik Polen unterzeichnet. Fast noch mehr Aufsehen erregt eine Geste des Bundeskanzlers bei einem Besuch im ehemaligen Warschauer Ghetto: Brandt kniet am Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus nieder. 1971 erhält er den Friedensnobelpreis.
Aber auch die innere Bewegung der Gewerkschaft Solidarnosz ebnet den Weg, dies in den 80er Jahren. Solidarnosz wird legalisiert und gewinnt bei Wahlen 99 von 100 Senatssitzen. Lech Walesa war der Held des Tages.
199o wird die kommunistische Partei aufgelöst. 1997 wird eine demokratische Verfassung etabliert. Am 1. Mai 2004 wird Polen mit den 9 weiteren Staaten Mitglied der EU Europa.

Wie spiegelt sich die aktuelle Entwicklung Polens in der Kunst wieder, welchen Stellenwert hat sie im Spiel der europäischen Kunstszene. Wiederum sind die Bilder die Kunstwerke die Argumente:

Zwei polnische Künstler von heute:

Marek Sobczyk „Solidarnosz“2001, spiegelbildliche Schriftzüge, jedoch kein Spiegelbild des Wortes „solidarnosc, sondern umgedreht und neu geschrieben, darüber jeweils die polnische Flagge rot/ weiß. Ein auf Linie gebrachtes Wort. Global wirken- Lokal erscheinen. Er nennt die Arbeit „ What“( was): Wiederholung.

Zbigniew Libera: „Positives“ so der Titel einer Fotoserie von 2oo3: Die Auferstehung von Che Guevera als post- kommunistische Geste. Erst mal eine Zigarette rauchen. Ein inzseniertes Foto. Libera geht ansonsten gern von Zeitungsfotos aus und verfremdet sie, um sein Botschaft zu vermitteln. „The final Liberation“ von 2004, ein Doppelbild ein Diptychon, zwei Fotografien (130 x 150 cm). Die polnische Kulturzeitschrift „ Przekroj“ existiert seit den vierziger Jahren und erscheint in einer wöchentlichen Auflage von etwa 40.000 Exemplaren. Polens Haltung zum Irak-Krieg ist bekannt. Hier nun die irritierende Fassung und Aktivität eines zeitgenössischen Polnischen Künstlers wie Libera: Das Coverfoto für die Ausgabe vom 13. April 2003 wurde im voraus von ihm gestaltet und als Leuchtreklame in den wichtigsten polnischen Städten Monate vorher verbreitet. Der Künstler wartet auf einen passenden, aktuellen Moment für die Veröffentlichung: die Ankunft der amerikanischen Soldaten in Bagdad ist für ihn der passende Augenblick.Die Zeitung kommt heruas sie zeigt die Rückenansicht eines amerikanischen Soldaten der von einer Frau, einer Muslimin als Befreier umarmt wird. Der Titel „Sen Busha“ (Bushs Traum) war ebenso wie die dazugehörige Geschichte von der Zeitschriftenredaktion erfunden worden. Die Herausgeber der Zeitschrift hatten sich auf das Künstlerspiel eingelassen und ihren Lesern erst am Ende der langen Fotoreportage mitgeteilt, dass es sich um eine vielbedeutende Mystifikation bzw. makaberen Scherz handelt. Hier in der Ausstellung zeigt er zwei Fotos, einmal die freudige Begrüßung mit Blumensträußen und die Umarmung , die auf das Illustriertenfoto in der Haltung zurückgeht.
Symbolisch wird ein Sieg vorweggenommen.

Die aktuelle polnische Kunst kann solche Bilder zeigen, aber aktuell ist auch eine andere, die mit traditionellen Mitteln arbeiten und doch als eine internationale Erneuerung empfunden wurde und ist.

„ Die Kunst wird die seltsamste menschliche Aktivität bleiben, entstanden aus dem Konflikt zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen Ratio und Wahnsinn in den Tiefen unseres Schädels.“ Magdalena Abakanowicz, 1930 bei Warschau geboren, gilt als die bedeutenste zeitgenössische Künstlerin Polens. Sie stammt aus einer von den Kommunisten enteigneten alten Adelsfamilie. Kürzlich waren Arbeiten von ihr in Schleswig zu sehen. Sie begann im Nachkriegspolen zu arbeiten, Krieg, Besatzung in einer chaotischen Ruinenlandschaft, 35 Jahre real existierender Sozialismus… sie emigrierte nicht. Ihre Arbeit „Black Crowd“ 20 gehende Figuren, Bronze, ca. 2 m hoch, Torsi ohne Kopf, stehen entsetzlich einsam, als sich nie berührende menschliche Restwesen, doch sie machen einen Schritt vorwärts. Der Torso steht für die durch seelische Erschütterungen gewandelte äußere Hülle des Menschen. Zunächst formte sie ihre kopflosen, überlebensgroßen Menschenmengen aus Juteleinen und Harz. Als sie 1999 sich Gedanken machte, welche Ausdrucksmittel die neue Epoche bedarf, entschied sie den schreitenden Menschen zu wählen. Als Stammdenkmal , Baum ohne Krone erscheint die „Figura Ultima „ 1999/ 200(in New York in der Marlborougk Gallery.) Auf der Biennale 198o in Venedig wird sie mit ihren Arbeiten als Star gefeiert. Sie zeigte im Polnischen Pavillon ihre monumentale Embryologie. Hier eines ihrer „Abakans“. Das sind großformatige von der decke hängende, magische organisch weiche Objekte, hier in Rot. Sie begann sie zu schlitzen und zu öffnen, um ihnen den Ausdruck des Schwellens und Zerberstens, des Platzens, zu geben. Sie sagt: „Meine dreidimensionale gewebten Formen sind mein Protest gegen die Systematisierung von Leben und Kunst. Sie wachsen in einem langsamen Tempo, und, wie natürliche Formationen, sind sie organisch. Wie andere natürliche Wachstumsprozesse sind sie Objekte zur Kontemplation“.(„Abakan,“ red I, Warschau 1970- 73 Museum Bellerive, Zürich).

Moderne polnische Kunst in der Verteidigung ihrer Positionen, aber auch in der Anerkennung – europaweit.

Wladyslaw Strzeminski ( geb. 1993). Er war Vertreter der konstruktivistischen Bewegung. Links seine Architektonische Kompositionen von 1926 und 1929.Er versuchte die Archtektonisiering des Lebens und der Kunst. Theorien und Forschung von Farben und Linien flossen ein. Das Bild sollte einheitlich und flach sein. Rechts zwei seiner unistischen Kompositionen von 1931/32. Für ihn war die Malerei eine Angelegenheit des Sehvermögens, das Sehvermögen war ständig zu entwickeln und zu erlernen. Er realisierte die Sichtweise eines einheitlichen, flachen durch wechselseitige Abhängigkeit von Linie und Farbgebung Stils.“ Dem barocken Dramatismus ist der Unismus der Malerei entgegenzusetzen“, war seine These. Fotografieren lassen sich seine Arbeiten fast nie, aber seine Wirkung auf die folgende Malerei war groß, deshalb diesen vagen Eindruck. Er erlangte internationalen Einfluß.

Ein Schüler von Streminski war Stanislaw Fijalkowski. Er war Student und Assistent bei ihm. Seine Bilder sind mit sparsamen Zeichen und Farben. Bilder sollten nur auf sich selbst gerichtet sein. Er will, dass sich in und mit den Materialien, die das Bild ausmachen wie Leinwand, Farben ,Bindemittel. So etwas wie der Körper eines Bildes die Beschaffenheit seiner Zellen, seine Anatomie ist. Nur der Maler vermag es, diesem mit Farben bedeckten Stück Leinwand eine Seele einzuhauchen. Titel können von der Autobahn sprechen, doch es ist ein „geheimnisvoller Weg des Geistes,“den die geometrischen Körper gehen. Sie unterziehen sich einer Verwandlung, sie verlieren ihre klassische Proportionen, sie tragen Konflikte und Spannungen miteinander aus.“ In der Bilderserie „ Manipulation“ 1981-84 wird sein Prinzip vielleicht verständlicher: Die an den Himmel geheftetet, weiß-rote polnische Nationalfahne wird immer blasser, verliert schließlich die Kraft der Farbe- infolge politischer Manipulationen, die zu Beginn der 8oiger Jahre üblich waren. Schwarze Bänder entwickeln sich in seinen Bildern als dunkle Streifen zu einem Symbol des Todes. So auch im „ Epitaph für meine Mutter“( rechts), wo er( der Streifen) vor der zarten, im kühlen Rosa flimmernden Morgenröte erscheint und durch feine schwarze Linien- den Quasten eines Kopftuches, eines jüdischen Gebetsmantels vielleicht- mit dem Leben verbunden bleibt. Eine sehr sensible , feine Malerei, die es erlaubt mit Phantasie und Assoziationen zu interpretieren.

Als „schweigende Kunst“ werden die Bilder von Stefan Gierowski beschrieben. Er selbst ist für seine präzisen Selbstkommentare und scharfsinnigen Überlegungen zur Kunst, auch seiner eigenen, bekannt. Er ist skeptisch, ob sich das Wesen des wahren Bildes in Worte fassen lässt. Es gibt keine Bildtitel bei ihm, nur Nummerierungen. Zwei aus dem siebziger Jahren, zwei aus den achtziger Jahren.“Die größte Schwierigkeit liegt darin, zu präsizieren, wovon man mit Hilfe der Malerei träumt. In Gedanken, in Träumen sind manche Begriffe nicht endgültig bestimmt, doch wenn man vor der Staffelei steht, trifft man auf das Konkretum der Materie, und mittels Material, mittels Farbe muss man dann den spezifischen Klang die spezifische Farbe, die Metaphorik und die Metaphysik des Bildes erst erreichen. Die Intuition wird in Farbe umgesetzt.“

International bekannt sind die Arbeiten von Roman Opalka ( geb. 1931) er malt Zahlenbilder. Die Zeit ist sein Bildthema, ob in der Ablichtung seiner Porträts, die das Zeitvergehen , das Altern dokumentieren oder im peniblen Aufschreiben der Daten eines Jahres , eines Lebens. Er sagt:…“Dieser Zustand lässt mich an die Gestalt des Faust von Goethe denken, mit dem Unterschied, dass der Pakt nicht mit Blut geschrieben, sondern gemalt ist, dass er nicht mit Mephistopheles sondern mit dem Tod geschlossen wurde, und das die Seele nicht um jeden Preis der ewigen Jugend verkauft worden ist. Es ist ein Pakt mit dem Tod, und es geht um das Werk, um die Autorenrechte an diesem Werk….“

Mehr dem Nationalen verpflichtet , vor allem als Lehrer war: Henryk Stazewski, 1894 geb., wird als Patriarch der Avantgarde bezeichnet. Abstrakte Kompositionen (weißes Relief zweiseitig XXV Plexiglas, Holz Öl (60 cm hoch, 1961, Museum Sztuki Lodz). Grundsätze der Formfindung war sein Thema, in neuen Positionen ließ er spontane Betrachtung zu und setzte sie um zu überraschend brillanten Lösungen. Aber das Durchspielen der Farben und Linien auf Flächen ließ ihn ermüden:„Ich erlebe Transformationen wie eine Schlange. Aber in meinem Alter kann es gefährlich werden, weil eine Schlange, die die Haut abstreift, ohne eine neue zu haben, verenden Kann.“ (zwei Reliefs von 1967). 1988 stirbt er in Warschau.

Die gleiche Generation wie Stremynski und Stazewski ist Tamara de Lempicka. In Warschau geboren , kommt sie nach Petersburg, dort lernt sie mit 16 Jahren Lempicka ,einen reichen Rechtsanwalt kennen. Während der russischen Oktoberrevolution flieht sie über Finnland nach Kopenhagen und dann weiter nach Paris. Sie lässt sich von Maurice Denis in Farben und Formen ausbilden, übt die Erkenntnis des Kubismus und verbindet sie mit dem Art deco, damit trifft sie den Geschmack der Pariser Gesellschaft, die die Greueltaten des 1. Weltkrieges zu vergessen versucht. „Ich war die erste Frau, die klar und sauber malte- und darauf gründete sich mein Erfolg.“ Nichts überließ sie dem Zufall. „Stil ist das hervoragensdste Mittel, sich zu verändern und zu werden, was man gerne wäre“. Eingepackt in den kühlen berechnenden Blick der Zeit, in Posen erstarrt. Sie erscheint als eine hinter Make- up, Lederhaube und Hochmut verborgenen Schönheit. Nie anbiedernd, eher überheblich und zynisch. Eine moderne Amazone selbstbestimmt gehört ihr das grüne mobile Auto ( Bugatti), das Symbol für Freiheit und Bewegung, für Macht und Reichtum. Sie legte Wert auf modische Eleganz und übte sich vor Kameras in Starposen a la Greta Garbo. 1929. Die in jungfräuliches Weiß verpackte Erstkommunion- für die Lempickas Tochter Kizette 1928 Modell stand- wird als Wissen um die gebrochene Unschuld gesehen. Statt erzählerisch dem Thema nahe zu kommen, benutzt sie eine eindeutige Symbolik in surrealen Zusammenhang. Die den Heiligen Geist verkörpernde Taube entschleiert bereits das Mädchen, dessen verzückter Blick schon sinnliches Schmachten verrät, madonnengleich. Die fröhliche feine Munterkeit der Krakauer Madonna von 141o ist nicht ihr Vorbild. Zurück: Der drapierte Stoff gerinnt zu aufwendigen Bildarchitekturen. Der weißen Überdraperie rechts stehen dann Adam und Eva in purer Körpersprache gegenüber. In ihren Aktdarstellungen schafft sie eine Synthese von Ingres klassizistischen Bildern mit den Körpermodellierungen eines Michelangelo zu verbinden und doch wirken die Körper kubistisch voluminös und stillgelegt in schimmernden Hauttönungen. Starkes Hell/dunkel,Linien und Schattenkrater durchziehen die gesamte Bildfläche. Sie findet zu einer Figurendarstellung, die die Persönlichkeit zerrissen und melancholisch wirken lässt, hin und her gerissen zwischen gesellschaftlichen Kalkül und verborgenen Leidenschaften zeigt. Die kalkulierte Pose, in der die Lempicka ihre Bildfiguren gerinnen lässt, ist der formale Ausdruck für diese Spiel. Es ist aber die Beherrschung des gesamten Bildes als Bildeinheit. Junges Mädchen mit Handschuhen von 1930: Splittrig gebrochen Formen wechseln mit Rundplastischem ab. Haare werden zu skulpturalen Ereignissen. Beides ergänzt sich rhythmisch in den grünen Stoffdraperien. Im Kuss werden die Figuren mittels formaler Entsprechungen mit dem Umfeld verwoben. Die Figur wird Teil eines spektakulären Dekorums und solchermaßen als lebendiger Körper ausradiert.
Eine höchst spannende Künstlerin aus Polen stammend.

Marius Kruks 1952 in Poznan / Posen geboren. Vertraute Dinge beieinander. Die durch den Alltag und Gebrauch definierten Erfahrungen mit den Dingen verbinden sich zu einer magischen Zähmung der Wirklichkeit,eine surreale Variante. Er verändert oder verfremdet die Gegenstände nicht. Sondern über die Verbindungen die sie eingehen, entsteht etwas Neues, Ungewohntes. Es könnten auch ganz normale Situationen sein. Das Brautkleid ist ausgezogen und auf eine Kleiderpuppe gehängt auf einer Gummimatte wie ein schwarzes Loch sind Ringe. Zwei alte Stühle, auf einem liegt ein Damenhut, vor dem anderen auf dem Boden ein Herrenhut. Immer behalten die Dinge ihre eigenen Identität. Mensch ist abwesend. Mariusz Kruks begann in den 80er Jahren, in der Zeit der polnischen Solidarnosc Bewegung seinen künstlerischen Weg
Er hat sich nicht auf ein künstlerisches Ausdrucksmittel festgelegt: er malt, zeichnet, schreibt Texte.“ Die Schönheit verspricht gar nichts. Ähnlich wie ein Baum keine Garantie ablegt, dass er einen guten Tisch abgeben wird, und der Tisch uns kein opulentes Mahl garantiert“. Kunst ist für ihn eine magische Domestizierung der Wirklichkeit. Ein Aquarell: Ein Schrank ein Stuhl auf Distanz im Gegenüber in einem Nicht- Zimmer. Ein Licht von Außen verlängert den Schatten , so dass der Schrank berührt wird.

Miroslaw Balka, geb 1958 in Warschau

Links „Die Erinnerung an die erste heilige Kommunion“ 1985 entstanden. Sie erinnern sich noch an das ganz in weißen Stoffdrapierungen sich einhüllende kleine Mädchen in Erstkommunion( 1928) von Tamara de Lempicka gemalt. Hier nun die Variante aus Stahl Zement, Marmor, Textilien, Holz, Keramik und Fotomaterial über 50 Jahre später In menschlicher Größe, mit Blessuren am Knie , offengelegtes Herz, Kniestrümpfe wie Bandagen. Er verarbeitet ein Stück seiner Biografie. Seine Arbeiten sind anrührend, stellvertretend für viele Erfahrungen und vielen zugänglich. Wenn die Provokation nicht provoziert, dann bleibt die Einfachheit ohne Pathos und Koketterie, die künstlerisch überzeugt. Er ist sehr erfolgreich, dies seit der Biennale 199o in Venedig
Bekannt wurde er auch durch seine Installationen, wo die Materialien für sich wirken können.

Trugbilder, Altäre, Orakel errichtet und meint Jerzy Beres. „Von dem Moment an, da sich in meiner Werkstatt große Mengen von unbehandeltem Holz zu stapeln begann, begann auch meine künstlerische Arbeit“. Kunst als eine Art des Aufräumens.
In seinen Aktionen kommentierte er historische und Politische Situationen Polens. Er tritt meist nackt oder mit Lendenschurz auf. Der Nackte Körper versinnbildlicht ein ursprüngliches und reines Material für ihn wie das Holz, das Feuer oder das Brot es sind. Er bezieht sich auf die Ursprünglichkeit des Kunstrituals. Er kann sich zur Körperskulptur verwandeln mehr Objekt oder auch mehr Subjekt sein und seinem Körper im Ritual eine Magische Bedeutung geben. Er opfert sich. Eine provozierende Kunstrichtung. Jedoch wenn die Provokation nicht mehr provoziert, wird es schwierig.

Mit gefundenen armseligen Materialien arbeitet auch Tadeusz Kantor. Zweimal : „ Alles hängt an einem Faden“ von 1973. ein Holzobjekt und ein Blumenstrauß sind auf einer groben Leinwand befestigt.( Bilder etwa 13o x 11o cm ).Dinge, für die man sich schämen muß, die unterhalb der Würde liegen, für die man sich geniert.“ Die Realität des niedrigsten Ranges… wie Wracks Schulbänke Attrappen Regenschirme, Bündel Päckchen…. Er wird der Troubadur des Trübsals genannt. 1915 geboren,199o gestorben, hat er mit seinen Aktivitäten fast ein Jahrhundert durchwandert und belebt. Er fühlt sich nicht dazu berufen, die Welt zu erlösen, wie es Beres versucht. Im Gegenteil: „ Aufmerksam betrachte ich ihre- die der Welt- Fehler, die für mein Schaffen eine große Inspiration darstellen.“
Die Umzingelung ist ein wichtiges Motiv in seinem Schaffen. Daher kommen all die Bilder eines Abgeschlossenseins, klaustophobischen Emballagen genannt. Schränke, Schubladen, Taschen, Pakete, Rahmen werden zu Käfigen und Gefängnissen. Man springt,fällt aus dem Rahmen, verbindet Bild- mit der Raumwelt!
Links: Ein Soldat trägt das Bild, ist Teil des Bildes ,aber auch nicht. Die Amputation, das Holzbein auf der einen Seite, das Fliehen aus der Kunstwelt steht im Kontrast wiederum zum Halt, zur Krücke, die das Bild auch ist. Kantor schreibt zu dem Bild: ein Soldat trägt das Bild, auf dem abgebildet ist, wie er das Bild „ Schlachtfeld „ trägt, aus dem Zyklus: Weiter kommt nichts mehr“ 1987. Rechts: „ Fenster“ aus dem Zyklus „Die Tote Klasse“ 1983.
Tadeus Kantor Wirken gerecht zu werden, ist nicht möglich in diesem Zusammenhang. Nur eins noch: ein internationaler Erfolg wurde die „Tote Klasse „ 1975. Kantors Theater des Todes resultierte nicht nur aus den einzigartigen Erfahrungen eines Mitteleuropäers, er bereitete den Westen auf die Invasion der Andersartigkeit vor, einer bisher nicht gesehenen Kunst.
Rechts: „Dead class“ 1975 Schulbank mit Puppe, Holzkreuz und Buch. Links: selbst nach dem Tode noch originell. Das Grab von Tadeus Kantor. Worum geht es in „Dead class“?: Wo Not empfunden wird, wächst auch der Widerstand. Die polnische Geschichte ist ein Beipsiel dafür. Mit dem Ende der stalinistischen Zensur 1956 brach eine aufgestaute Schaffenskraft hervor. Kantor war mit seinem „Theater des Todes „ in Krakau dabei. Ein Versuch das Leben über die Mechanismen der Gewalt triumphieren zu lassen und in behutsamen Bildern des Ostjudentums zu gedenken.. Als Gegenstände fungierten armselige Dinge wie zerbeulte Koffer, zerschlissene Regenschirme, abgewetzte Pultbänke usw. Erschöpft kehren die Schüler, jetzt Greise , an den Ort der Kindheit zurück , lassen all die Wünsche aufsteigen , aus denen nichts geworden ist und durchleiden all die Ängste noch mal. Tadeuz Kantor macht daraus ein Theaterstück , eine Inszenierung, eine Installation( in der Sammlung Wirth in Schwabisch Hall(( Reinhold Wirth)), ein Grabmahl.

Ein Maler wie ein Urgestein in Farben ist Leon Tarasewicz, 1957 in Wahily an der Ostgrenze Polens geboren.“ Es war das Leben selbst, das mich in die Landschaft abgeschrieben hatte, woraus meine eigenwilligen Kirche ohne Wände entstehen konnte.“ Links o.T. 1986 (170 x 260 cm), rechts 2000 (190 x 390 cm, jeweils Ausschnitte. Man kann versuchen die Bilder zu beschreiben: tja Baumstämme in Schnee und oder rechts Klatschmohnwiese nach Sommerregen. Aber trifft es das? Natürlich nicht. Es ist phantastische Malerei. Die auch in die Räume geht. Tarasewicz und ein Raum in der Gal. Arsenat, Bialystok 1995: unendliche Wiederholbarkeit und die simultane Einheitlichkeit- Er sagt: Man muß die Malerei nicht erfinden, das Leben malt selbst, das Leben selbst ist Malerei , man muß nur leben….“In Lübeck können sie Bilder von ihm in der Galerie Linde sehen.

Auch öl auf Leinwand, aber Welten entfernt von Tarasewicz. Links ein „ langsames Hinfallen“ von 1984 170 x 130 von 1984, rechts „Pfarrer am Mittag“ von 1990 87 x 114 cm. Die Bilder sind von Jaroslaw Modzelewski, geb. 1955.“ Die Anstrengung, Kunst zu produzieren, scheint angesichts der Wirklichkeit manchmal so absurd groß zu sein, dass es verwunderlich ist, dass dieses Prozedere nicht rechtlich verboten worden ist. „ sagt er. Was macht er, was malt er ? Er malt flach und silhouettenhaft, er holt die Figuren aus dem Hintergrund deutlich hervor, auch wenn sie noch Merkmale eines Zeichens tragen. Man steht , geht sitzt, fällt…einfache Handlungen auf der Leinwand. Die Figuren sind schemenhaft wiedergegeben. In einem leeren Raum vollführen die Figuren einfache fortwährende Handlungen. Einfache Handlungen erhalten eine endgültige Dimension. Er sagt : es gibt Tage, an denen ich das Gefühl habe, alles , aber auch alles, malen zu können.“

Es gibt Maler aus Polen, die sich dem deutschen Kunstgeschehen zuwenden. Ausschnitthaft zwei Beispiele von Marek Sobczyk. Ganz besonders schätzt er Sigmar Polke. Der Künstler in der Arbeit an der Grenze zweier Wirklichkeiten. Er solle sich ständig im Grenzbereich zwischen der wirklichen Realität und der Realität der Kunst aufhalten. Warum nun Würstchen in der Hommage a Polke?( 1999 entstanden) Hunger als Leinwandversion. Die auf dem Gemälde beziehen sich vermutlich auf die Zeit des westdeutschen Wirtschaftswunders, in dem Polkes Schaffen begann. Seine Bewunderung gilt einem Künstler, der mit vollen Händen aus dem Reservoir banaler Formen schöpft , wie Industriedesign usw. und dies weiter zur Kunst verarbeitet. Von Marek Sobczyk war das zu Beginn gezeigte Bild mit dem wiederholten Schriftzug Solidarnocs. Er ist auf der Suche nach einer universalen Sprache der Kunst, eine Sprache, in der alles, absolut alles „ schön, gut und wahrhaftig“ auszudrücken wäre. Alle Denkaufgaben könnten durch das Einsetzen von Zeichen in einer Art Rechnung gelöst werden. Rechts zwei Krebse in T-Räume ( Buchstabe) eingepfercht. Eine Zwangssituation, Kulinarische Besonderheit, Traum eines Gourmets?( 1999)

„Was mich in der Kunst am meisten aufregt, sind Emotionen… ich mag leidenschaftliche Kunst… bis heute kleistere ich aus Stücken zusammen. Immer war ich als Künstler eifersüchtig, die sich nicht verändern oder auch nur erschüttert werden kann. Tomasz Ciecierski, 2000.o.T. links 1991 , rechts 1999.

Aktuelle Malerei: Jadwiga Sawicka. 1959 geb. „Batman“ z.B. von 2003. Malerei,die in der europäischen Tradition zuhause ist. Das alte Tafelbild und die erzählerisch–realistische Malweise sind aktuell für sie. In ihren Gemälden sind die Menschen gänzlich abwesend, nur ihre Hüllen sind zurückgeblieben, hier eine Maske von Batman ( 2003), Donald Duck( Kaczor)( 1999) und einem Zombi( Potwor) 2000.( alle 1oo x 7o cm).Sie malt auch einzelne Kleidungsstücke wie Handschuh, Jacke oder Stiefel. In kühlen Farben grau- weiß- schwarz, sehr plastisch aber distanziert wird gemalt.Diese Grisaillen ( Graumalereien) aus dem Alltag schweben vor pastellfarbenem, hellem Hintergrund. Die Dinge sind bekannt doch vermitteln sie keine Vertrautheit. Die Menschen sind nicht da, die Welt der Objekte ist kalt und fremd. Einzig bei Batmann, der durch die Maske als Mensch begreifbar wird , zeigt ein halbes menschliches Gesicht. Sie trifft eine Auswahl, sie wählt ihr Thema bewußt. In den Wiederholungen von Dingen aus dem Alltag spürt sie das Unheilvolle in der banalen Realität auf.“ Wenn man zwischen toten Gegenständen verweilt, ist es manchmal gar nicht möglich, sich davon abzugrenzen…Die neuen Gegenstände regen auf, die alten machen müde“ … sagt sie.

Körper, Köpfe, Harmonia Mundi oder was?
Links: Joanna Hoffmann, 1986 in Posnan/Posen geb. Wissenschaftliche Mitarbeiterein an der Academy of AFA in Posen ,hat den Doktor in Visual Arts. Titel der Arbeit: „Hidden Melody, Harmonia Mundi“ video 17 min, 2003.

O-Ton: In meinen Arbeiten finden sich häufig selbstgemachte Vergrößerungsgläser, Sucher und Kompasse. Von mir neuausgerichtete Räume nehmen die Form eines geschlossenen und selbstreferentiellen Gebietes an, das den Betrachter zwingt, nach einem Bezugspunkt in sich selbst zu suchen. Diese Erfahrungen verwandeln den Horizont in eine Kardiogrammlinie und richten die Kompasse auf den Herzschlag aus – die Tonquelle, die für unser Dasein so wesentlich ist. Die Hinwendung zum inneren Selbst berührt das Thema der Identität und stellt die Beziehung her zwischen dem, was individuell ist , und dem, was der Gemeinschaft, in der man lebt, gemeinsam ist, eingeschrieben in den sozialen, kulturellen und historischen Kontext des eigenen Daseins. Mein Interesse an der Vorstellung von einer Makrowelt, die sich in der Mikrorealität individuellen Daseins erfüllt, manifestiert sich in einer Reihe von Arbeiten mit dem Titel „A Hidden Melody“.Dieses Projekt bei dem ich Mikrotöne des Herzschlags und Hirnstromwellen nutze, ist getrieben von der alten Idee der Harmonia Mundi.“
Rechts Ohne Titel ( Skull, Schädel)ein aus Menschenleibern geformter Totenschädel, 2ooo von Piotr Uklanski. Er stellt seine Arbeiten in einem luxuriösen gestalteten und gedrucktem Katalog vor unter dem Titel Erde, Wind und Feuer ( Earth, wind and fire). Zur Ausstellung der Kunsthalle Basel.August 2004.Er macht eigentlich alles , was das visuelle Auge heut mag und verkraftet.“ Auf die Barrikaden in einem roten Ferrari Cabrio!“ Ist ein Gespräch überschrieben, dass er mit Roman Polanski geführt hat. Zwar eine historische Quelle, aber doch bezeichnend. Sein Katalog ist ein Ferrari im Gebrauchtwarenladen. Selbst die Abfälle beim Bleistiftanspitzen werden zu blütenhaften Edeldesign zusammengestellt.

Rechts O.T. (Boltanski, Polanski, Uklanski 2003 Spray paintet Graffiti, Diemension variabel. Installtion Frieze Art Fair London Okt. 2003, und links Farbfoto 100 x 100.

Das ist Uklanski nicht noch einmal . Das ist die Arbeit „ die Würfel sind gefallen“ (Alea iacta est) eine Installation von Stanislaw Drozdz auf der Biennale 2003. Rechts: Dort hat er den Polnischen Pavillon in eine Spielcasino verwandelt und bittet den Besucher an einen Spieltisch. Er gilt als ein Meister der konkreten und visuellen Poesie. Künstler und Dichter.1939 geboren. Hier sein Thema der Würfel. Eine Wand mit 279 936 Ansichten von Würfelaugen bedecken eine Wand und bieten 46 656 Möglichkeiten an wie sechs Würfel fallen können.. Anweisung für den Besucher: Nimm die Würfel und wirf sie. Finde die Kombination innerhalb der 46 656 möglichen. Gelingt es dir, hast du gewonnen, wenn nicht, hast du verloren. Links eine Arbeit „ Dazwischen „ von 1977. „ Kunst ist eine Sache des Geistes.“ Sagt der Kurator Pawel Sosnowski.

Keine Würfel, sondern 4,6 x 6,1 cm kleine Fotos, die eine 21 m lange Wand, 2.4o m hoch, bilden. Eine Arbeit von Zofia Kulik. Sie hat den Titel „Von Sibirien nach Cyberia“. Das erste Londoner Internet – Cafe nannte sich „Cyberia Cafe“. Die Anlage hat monumentalen Charakter und besteht aus zigtausenden Fotos, die alle zusammen eine visuell vibrierende Masse bilden. Zur Bezeichnungen Sibirien sagt Zofia Kulik: endlos weites froststarres Land, Generationen von polnischen Rebellen wurden dorthin verbannt. Sie war weder in Sibirien noch in London. Es sind für sie imaginäre Begriffspole. Wie entstand die Arbeit: alles , was über den Fernsehapparat läuft hat sie jahrelang abgelichtet. Sie begann mit Fotos von 1975. Das sichtbare Zickzackmuster entsteht indem man die kleinen Felder unbelichtet lässt. Nicht nur eine Fleißarbeit, sondern eine dekorative Mauer, die Weltgeschichte enthält. „Arbeit-lediglich als Spur von dem, was meine Augen sahen“ ist ihr Fazit.

Papier ist auch das Material aus dem die Teppiche (Carpets) sind. Katarzyna Jozefowicz, 1958 in Lublin geb. hat sie gemacht. Es sind Fotos von Personen, die aus Papier ausgeschnitten und in großer Anzahl hinter und nebeneinander zusammengesetzt sind. Das Individuen verschwindet zwar fast in der Masse, kann aber wahrgenommen werden. Die Menge erscheint als Flut, die nicht in ihrem Wachstum und ihrer Bewegung zu bremsen. Sie werden interpretiert als historische Assoziationen zum legendären Aufruhr der Solidarnoscz auf der Gdansker Werft. Ihr Material holt sie aus Postkarten, Erinnerungsfotos, Illustrierten. Sie verblassen mit der Zeit. Die Größe der Installationen richtet sich nach den Räumen, von der Auslegeware bis zum Teppich für die Hutsche. Die Arbeiten sind spannend und vielschichtig, sie sind manipulierbar und haben die Kraft der Bewegung.

Artur Zmijewski geb. 1966 in Warschau. Links:„Fangen“ 2001 Video 4.30 Min. Rechts:“ Singing Lesson 2, 2oo3. 4.30 min

Kunst als eine soziale und moralische Aufgabe. Wie geht ein Künstler mit dem Thema Holcaust um, wenn er 33 Jahre danach geboren ist: er sagt,“ ich
habe mehr Filme und viele Fotos gesehen, auch einige Bücher gelesen. Eine meiner Pflichtlektüren im Gymnasium waren die Erzählungen von Tadeusz Borowski („ Welt aus Stein „ z.B.)Zum ersten mal las ich seine Bücher als Teenager. Borowski war Gefangener in Auschwitz und schrieb nach seiner Befreiung viele literarische Erzählungen über das, was er gesehen und erlebt hatte. Zmijewski sagt: Ich erzähle keine Dinge, die man als Wahnsinnig bezeichnen könnte, und ich bin kein Deutscher. Und doch hat auch mich das Bedürfnis gequält, mich in die Geschichte einzubringen, in die Auseinandersetzung mit der Geschichte. Ich habe einfach einen kurzen Film gemacht, der in einer Gaskammer spielt. Nackte Menschen spielen dort Fangen, ein spontanes Kinderspiel. Der Film wurde in der Akademie der Künste außerhalb der großen Ausstellungshalle im Treppenhaus zum Kellergeschoss gezeigt. Der Film lief an den Wänden entlang.

Auf der anderen Seite ein probender Chor mit Orchester und Dirigent.“Singing lesson“. Zmijewski weist wieder auf ein Buch hin , dass ihn faszinierte. „ Stumme Stimmen „ von Oliver Sacks. Das Buch handelt von der Gebärdensprache. Gehörlose leben meist in der Peripherie der normalen Gesellschaft. Warum sind sie so abwesend? „Singing lesson“ ist ein Film, der auf eine beinahe dokumentarische Weise die Aufführung einiger Werke von Johann Sebastian Bach durch einen Chor gehörloser Jugendlicher zeigt. Der Film wurde in der Leipziger Thomaskirche gedreht. Bachs Kantaten, der Gipfel der musikalischen Genialität, interpretiert von Menschen, die oft nicht einmal wissen , was Ton bedeutet, fragt Zmijewski.Ist das überhaupt verantwortbar? Diese Musik war eine neue Harmonie, ein Tonchaos, mit dem man erst einverstanden sein muß, um es als Musik anzuerkennen.. Die Gehörlosen machten etwas auf ihre Weise. Das ist keine wohlklingende Musik, es ist eine andere Musik, das ist Musik, die Gehörlose wirklich kreieren können.“
Zmijewski hat auch Filme mit Beinamputierten gedreht. Er versucht mit seinen Arbeiten die Unsichtbaren ins Licht zu bringen, die Gehörlosen zum Musizieren zu animieren, Amputierte zum Laufen zu bewegen.

Zwei interssante Polinnen, zwei interessante Fotos von ihnen. Links das Foto ist von Bettina Flittner, Frauen mit Visionen, 48 Europäerinnen, aus Polen sind Magdalena Abramovicz und hier links Anda Rottenberg, eine Kuratorin, eine Rebellin , die keine sein wollte. Auf der anderen Seite die First Lady Polens „Sie ist so frei“ Jolanta Kwasnieska, die Frau des polnischen Staatspräsidentin. ( Foto: Douglas Kirland).Sie repräsentiert die Westintegration in ihrem Land. Man musste sich erst in Polen an sie gewöhnen, sie lacht zu laut, schminkt sich zu grell und war in ihrem Wesen zu amerikanisch. Aber sie wird auch als „Erlöserin der Nation“ angesehen. –Anders Anda Rautenberg. Sie hat alles, was man braucht ,um Probleme zu bekommen: Sie ist intellektuell, sie kosmopolitisch, sie ist jüdischer Herkunft. Und sie verteidigt kompromisslos die Freiheit der Kunst.

„Life is beautiful I & 2, 2001, potograms, jedes der 25 Fotos ist 30 m X 20 cm. Von Bogna Burska. Der Eindruck voll aufgeblühter roter Blumen im Postkartenarrangement, in Vergrößerungen und Verkleinerungen…. ist nur zum Teil richtig. Sie nutzt die Wiederkennbarkeit der Roten Farbe und Blumenform aber variiert diesen Eindruck und leitet auf Realitäten über, die der Betrachter gern verdrängt, die tabu oder unangenehm schwer zu verkraften sind. Da werden Bilder von Operationen, Beinamputationen, Blicke in die chirurgische Abteilung im Bildrhyhmus – abwechselnd- zum Blumenarrangement eingestreut. Das rote Blut konkurriert mit der roten Blumenpracht. Oder es bildet den schauerlichen Kontrast zur Lebendigkeit der roten Fische im Aquarium. Oder sie lässt Vogelspinnen und andere Spinnen im schwarzen langbeinigen Alleingang über luxuriöse rosa und rot Stoffe wandern. Die Bilder schockieren beim zweiten Hinsehen. Aber sie versucht Situationen des Wegsehens wieder ins Blickfeld zu holen und Leiden, Schmerzen, Tod als gleichberechtigen Teil des blühenden Lebens einen Ort im Bild zu geben. Stilleben von heute.

Hanna Nowicka – Grochol: sie sitzt allein mitten in einem verschneiten Cafe an einem Tisch. Sie trägt ein rotes Kleid und formt einen Schneeball. „Haptics“ heißt die Arbeit , 2000, Fotoarbeit, 185 x 130cm. Die zusammengeballte innere Emotion – das Gefühl, die Leidenschaft- steht im Kontrast zur kalten Umgebung. Sie ist versteinert in ihrer Bewegunglosigkeit. Rechts eine Installtion von Hanna Nowicka – Grochol. „ The pleasure out of reach“ 2003. Es sind aufgeblasene Hängematten zwischen Körper und Objekt. Eine Hängmatte bewirkt viele Assoziationen. Erfahrungen von Erholen, Wellness, Schlafen, Träumen, Sommer , Garten, Freisein… Sie steht für emotionale Illusionen , für unerfüllte Vergnügen. Fünf Hängmatten zum Ansehen, im engen Kellergang fast bedrohlich. Kommen sie durch Berührung in Schwingung, setzt sich diese wellenartig fort. Sie reagieren auf den Besucher. Im Hintergrund eine Fotoarbeit – Titel „ Dangerous intimacy“. Körper und Intimität wird zum spannenungsgeladenen Kunstthema in ihren Arbeiten.

Körper sind von Papierschlangen, Gummibändern und anderen farbfrohen Papierkram nur schwer kenntlich zu machen, oder fast nicht mehr zu erkennen oder sie sind aufgeblasen aus poppigen Gummi. Das sind Arbeiten von Agieszka Kaliniwska. Zimperlich ist sie nicht, wenn sie in ihren Gummifiguren den Personen Revolverlunten in den Mund steckt, Würste aus und durch Körper kommen und dringen und auch anderes aufsteigen lässt.“ Not nice at all „nennt sie die Gruppe. Die Figur „ Just al littel more“ von 2002, erinnert an einem Liegenbeliebenen einer Silvesternacht: Jedoch durch die Überlagerung der Materialien wird der Körper durchscheinend, wirkt durchlöchert wie ohne eine zusammenhaltende Haut. Gewalt und Agressivität versucht sie mit Vergnügungs-Papieren und alltäglichen Gummibändern zu fassen. Der Mensch in Auflösung oder geil aufgeblasen.

Schnappschuß mit der Kamera „ein Rehbock“ 2002 links und Rechts: „Der Garten in Skuki“ 2001. von Monica Wiechowska. Doch die Natur-Idylle trügt, der Blick in den Garten ist nur durch umgebene Mauern möglich, Blick durch eine Schießscharte oder aus einem Kerkerloch? Monika Wiechowska hat bevorzugt die alten Meister studiert , die Stillleben wie da reale Tiere Pflanzen, Früchte dargestellt wurden, die Selbstporträts wie sie die Bewegung festhielten, die Landschaftsdarstellungen der Niederländer usw. Hier nun ein Ausschnitt von Landschaft in der Ferne als Sehnsuchtsmotiv. In ihren „Animals“, zeigt sie bevorzugt Rehe im Licht, im Kunstlicht. Ihre Tiere sind tote Tiere. Das Auge verrät es. Sie nimmt an Jagden teil, die von hunting associations organisiert werden und dort ist der Ausgangspunkt zu ihren Bildern. Also keine erfreulichen Naturaufnahmen, sondern überlegte Inszenierungen der Natur zwischen Jetzt und Ewig.. Sie bringt die wahren Bilder von Arkadien, denn es heißt ..Et in arcadia est, … auch in Arkadien ist der Tod. Sie stellt ihre Tiere an die Spitze der Hierarchie, wenn es um legitimierte Gewalt gegen lebende Wesen geht.

Variation eines Themas. Grzgorz Klaman hat für Polen die Möglichkeit einer neuen Fahne kreiert. Den Nationalfarben Weiß und Rot, die auf das polnische Landeswappen aus dem 13.Jahrhundert zurückgeht, fügt er die schwarze Farbe hinzu. Die Streifen werden in den Horizontalen ausgewechselt. Größen und Breiten werden variiert, auch kommen neue Formen wie Dreiecke hinzu. Kunstfahnen, die man erwerben kann. Die Aktion hieß „ Fahnen für die dritte Republik Polens“. Er startete das Projekt 2001. Es ging in Serie und er bietet jetzt die Fahne als Multiple an. Er meint für neue politische Situationen sollte auch die Nationalflagge sich ändern. Hier ein sechser Angebot zum Aussuchen.

Auferstehen aus Ruinen unter diesem Motto wird die Danziger Werft zum Kunstareal, dort wo einst Lech Welesa und die Gewerkschaft Solidarnocz ,die Kommunisten das Fürchten lehrten. Hier arbeitet jetzt die Wydpa Progress Foundation, sie gehört zu den wichtigsten Polnischen Initiativen für Gegenwartskunst. Initiatoren sind Aneta Szylak und Gregorz Klamann, der Künstler mit dem Entwurf einer Neuen Nationalflagge wie wir gerade sahen. Hier nun seine provisorische Fassung für den Eingang mit der Lichtinstallation „Kunst macht frei“. Rechts der Entwurf der Architekten Robert Brodzinski und Andrzey Niegrzbowski für einen klaren lichten Raum für Kunst in der Werft.

Aber auch Kunst im öffentlichen Raum, keine bestätigende Kuschelästhetik. Rechts: Robert Rumas mit seiner problematischen Provokation: Eine Christusfigur wurde mit Wasser gefüllten Plastik säcken bedeckt. „Termofory“ 1994 auf dem Langen Markt von Gedansk . Die Jesusfigur wurde von empörten Spaziergängern in die Kirche gebracht. 9o,7 % der Polen sind Katholiken. Der Papst ist immer dabei, links zum Erntedank im Muschelkleid.

Wir sind witzig! Sie und der schwarzgelockte Wuffi ) ( we are cute) Cute heißt auch fesches Mädel. links. ( beide 170 x 120) und rechts „ Ich werde schön sein ,wenn ich groß bin“. Fotos mit und von Agata Zbylut, geboren 1974. Keine Werbung für die Ausstellung: „Nackte Wahrheiten“in Wien ? wo selbst in der Tagesschau , sonst keineswegs zimperlich, schwarze Quadrate eingesetzt hat, um dem Anstand gereicht zu werden; auch kein Hinweis auf die Ausstellung Bordell und Erotik Bilder der Klassischen Moderne, in Tübingen. Auch keine Pin- ups für die Schrankinnenwand, denn da wo es für den Konsumenten in dieser Richtung spannend wird zeigt, sie Knie oder bedeckt sich mit ihrem lang- gelocktem Blondhaar. Kindlich, schamhaft blickt sie den Betrachter an. Die rotgelackten Fingernägel und Füsse strecken wie in Abwehr sich in den Bildvordergrund. Eher eine Barbi-Puppe oder Lolita; keine Mädchenkunst- echt Böse, nach dem Motto Sex sells, wie sie gerade auch Amerika überschwappt. Auch nicht dem Punk verpflichtet. Zwischen süßem Teeny-Pin up und Puppenstube eine anrührende Lösung. Aber in der Harmlosigkeit steckt auch die SOS-Katastrophe.

Es gibt Länder in denen der Comic wie z. B. in Frankreich oder die Karikatur in Polen eine Kunstqualität haben, die nicht kleinzukriegen ist. Dazu gehört in Polen Andrzej Mleczko. Alle- ob Oben oder unten- werden Opfer seiner Attacken. Aber damit können sie leben. Gesund und munter spazieren sie durch seine Skizzen. Zunge-bläkende Nonne, stolz stolziernde Prostituierte, entsetzte Bürgerin, Hammer und Sichel tragender T – shirt Teufel : gesund und munter bevölkern sie seine Skizzen. Sein Oppositionsgeist wird jeden Wandel überleben.1949 geb. , lebt in Krakau.

Keine zur ästhetischen Form erstarrte Aktdarstellung. Monica Wiechovska, orientiert sich an den Darstellungen der alten Meister, hier die manieristische Serpentina, die Schlangenform, mit einem überirdischen Strahlen im Gesicht auf genoppten Ledersofa. Auf der anderen Seite nehmen – mit einiger Phantasie Flussverlauf und Himmel in den Umgrenzungen die Figurbewegung auf. Polnisches Schmunzeln: Versöhnungsversuch an der Oder, gezeichnet von Wieslaw Smetek. Polen und Deutsche werden voll guten Willens gezeigt , aber völlig ahnungslos.

„Polen kehrt nach Europa zurück „ aber wie ? Wiederum eine Karikatur von Mleczko. Sie ist eine Land und Stadt überragendende weibliche Heroine, den Adler als Kopfschmuck, nur das „animal“ trägt die Krone. Sie hat zwei starke Arme, aber wie unterschiedlich. Die Rechte hält einen katholischen Priester auf dem Oberarm, der hält das Kreuz hoch und hat ihren Mund wie mit Zaumzeug unter Kontrolle. Das Herzchen auf ihrer Wange macht sie fast zum Clown. Der rechte Unterarm wird vom Engel gestützt und die Hand hält die polnische Fahne hoch. Vornehm ist der kleine Finger gespreizt. Die Linke ist bis zur Hälfte bandagiert und wird in einer Binde gehalten. Die linke Brust ist frei und wird als Kampfesbrust bezeichnet. Die linke ist umgeben von der Tricolore der Französischen Revolution und aus ihr fließen Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Rüpelhaftigkeit, Dummheit, Schlampigkeit, Ignoranz Egoismus, Diebstahl, Faulheit und Intoleranz. Darüber hängt eine Umhängetasche mit dem Senat. Sie müssen festhalten ,um nicht verloren zu gehen. Trümmer des Sowjetimperialismus in der linken Ecke, eine Kalaschnikow wird hochgehalten. Der rechte Stöckelschuh tritt auf das Hammer und Sichelemblem, der Linke wird von einem Stiefel getreten, auf dessen Hose Deutscher steht. Ein Arbeitsloser, klein wie eine Maus fleht um Hilfe. Eine Bude bzw. Kiosk zeigt an „Kontor“ und „Rückständig“. Ein Wegweiser weist nach Europa. Am Horizont erscheint Amerika als New Yorker Sky-line. Sie trägt einen Keuschheitsgürtel. An ihrem Mantelsaum hat sie eine Tasche als Pornoshop. Soll Europa verhütet werden?

Schluß: Polen, hoch die Fahne der Kunst!

Roswitha Siewert