Slowakei

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Slowakien, umgeben von Tschechien, Polen, Ukraine, Ungarn und Österreich, liegt im Herzen Europas.

Sind die Idyllen trügerisch?

Lauert Verletzliches und Unheimliches unter den Bildspäßen?

Abb. Bohdan Hostinak. Your feet tread on my hearts. Oil on canvas, 1997-98

Vortrag von Dr. Roswitha Siewert am 10. Mai 2005 in der Volkshochschule Lübeck (Auszug)

Willkommen in der Slowakei!

Ein Bild seiner Ansicht des Lübecker Holstentores hängt in der Kunsthalle des St. Annen-Museums. Mehrere Lübecker haben sich den einstigen Fünfzigmarkschein mit dem Holstentor von ihm signieren lassen und seinen Geldwert um ein Vielfaches erhöht.

Andy Warhol, Inbegriff der Popart, ein außergewöhnlicher Neuerer der Kunst, stammt aus der Slowakei und auch Alexander Dubcek, Held des Prager Frühlings 1968, war Slowake. Dennoch klagt die zwischen Tatra und Donau in der Mitte Europas gelegene, seit 1993 unabhängige slowakische Republik über mangelnde Bekanntheit und allzu häufige Verwechslung mit Slowenien oder mit der vormaligen, nicht mehr existierenden Tschechoslowakei.

Zum Einstieg zwei Selbstporträts 1967 von Andy Warhol.Siebdruck auf Acryl auf Leinwand, Zwei aus einer großen Serie. Sie waren für den amerikanischen Pavillon Expo 67 in Montreal gefertigt. Die Bilder entstammen einer Zeit, in der er sich seines Status als Star sicher geworden war. Die großen Formate 183 x 183 cm bestätigen dieses Selbstbewusstsein. Sie stellen ihn immer gleich dar, nur in anderer Farbgebung. In Serie hält er den Finger auf dem Mund (Jahrhunderte hindurch ein Symbol für Kontemplation – für Betrachtung). Sein Gesicht ist halb im Schatten verborgen, die gemusterte verlaufende Farboberfläche verstärkt den Eindruck einer undurchdringlichen Bildoberfläche. Warhol beobachtet genau und aus Distanz. Er sieht uns deutlicher oder ganzheitlicher, als wir ihn sehen dürfen. Er zeigt sich in der Rolle des unbeteiligten Beobachters, ob über Fotoautomat, Film, Fernsehen, Polaroid, Druck von der Tageszeitung bis zur Illustrierten.

„Wenn ihr alles über Andy Warhol wissen wollt, braucht ihr bloß auf die Oberfläche meiner Bilder und Filme und meiner Person zu sehen; das bin ich. Dahinter versteckt sich nichts.“

Das ist er auch. Links vierjährig um 1931 mit seiner Mutter und seinem Bruder John. Und rechts nach dem Schulabschluss 1945 in Pittsburgh. Allgemein, weltweit historisch ist 1945 das Ende des II. Weltkrieges.

Die letzten Tage waren auch weltweit ein Gedenken, ein Bitten um Vergebung, ein Preisen des Segens der Demokratie, Schillers und Beethoven Europahymne „An die Freude“ ist in aller Bewusstsein, das „seid umschlungen Millionen“ zieht viele in seinen Bann. „60 Jahre kein Krieg in Europa“ ein Grundziel, das mit zur Gründung der Europäischen Union führte. Ein Hauptgedanke der erweiterten Kunst Europas, da für acht der zehn neuen Mitglieder der eiserne Vorhang fiel und für uns die Möglichkeit nachzusehen, was da im Land – heute ist das Thema die Slowakei – an Kunst geschah oder wie die Künstler mit ihrem kreativen Potential und Erbe umgehen, z. B. auch im Ausland ihren internationalen Wegbereiterweg einer neuen Kunst gingen. Dazu gehört aus der Slowakei stammend Andy Warhol. Warhol beginnt in diesem Jahr 1945 sein Studium am Carnegie Institute of Technology in Pittsburgh – sein Hauptfach ist Bildgestaltung und er arbeitet in den Sommerferien als Schaufenstergestalter im Kaufhaus Horne. Und “ In Zukunft wird jeder fünfzehn Minuten lang berühmt sein.“ Noch steht er am Beginn, er wird für sich die 15 Minuten Berühmtheit erlangen und noch mehr, wie wir sehen werden.

Die Slowakei, umgeben von Tschechien im Nordwesten (mit Prag im Norden, dieser grünliche Bereich war zusammen mit der Zart lila Slowakei, die einstige Tschechoslowakei. Zum Verständnis an dieser Stelle ein Tupfer von Geschichte: Die im Oktober 1918 ausgerufene Tschechoslowakische Republik (CSR) wurde 1920 von den Alliierten bestätigt. In der Folge des Münchner Abkommens von 1938 wurde im März 1939 ein selbstständiger slowakischer Staat ausgerufen. Nach 1945 wurde die Slowakei der CSR (später CSSR) angegliedert, 1969 wurde ein föderatives System geschaffen, das aber in Wahrheit kaum Selbstständigkeit brachte. Erst nach dem Zusammenbruch des Kommunismus wurde die Slowakei eigenständig. 1992 beschloss der Nationalrat die Trennung von Tschechien und Slowakei, am 1. Januar 1993 wurde sie offiziell vollzogen. In den Bereichen der Kunst ist die Trennung oft nicht – und das ist auch gut zum Teil, nicht nachzuvollziehen. Jedenfalls sind beide, Tschechien und die Slowakei Mitglieder der EU geworden.

Im Norden dann Polen (hellgrün mit Krakau), ein Teil der Ukraine (gelblich-beige), dann die weitesten Berührungspunkte im Süden über Ungarn, Österreich mit Wien sehr nahe, fast die Grenze dann die Hauptstadt der slowakischen Republik Bratislava (Pressburg). Der verbindende Fluss ist die Donau:

Regensburg, Wien, Bratislava, Budapest.

Auf der rechten Seite ist die Slowakei mit ihren Regionen (rot umrandet zu sehen) – 85,8 % der Einwohner sind Slowaken. Die übrigen Bürger bekennen sich zu einer der elf nationalen Minderheiten: Ungarn 9,7 %, Roma 1,7 %, Tschechen 0,8 %, Ruthenen, Ukrainer, Russen, Deutsche, Polen, Bulgaren, Juden und Kroaten sind zusammen 2 %.

In Erinnerung an den slowakischen Nationalaufstand 1944, ein Partisanenkampf gegen die Besetzung der Slowakei durch deutsche Truppen: In Branska Bystrica (Neusohl/Mittelslowakei) wurde im Durchgangsbereich des Museums SNP (Slowakischer Nationalaufstand) das Denkmal errichtet. (Konzept eines Architekten von Dusan Kuzma: eine auseinandergebrochene Schüssel am Boden, die gestreckte Figur geht auf den Sirak, eine Kopfbedeckung der slowakischen Hirten, zurück. Hier geteilt. Der freie Blick zum Himmel, mag die Enge mildern. Rechts Alexander Dubcek; 1963 wird er

Vorsitzender der slowakischen KP. Als Vorsitzender des Zentralkomitees leitet er mit Reformen den Prager Frühling ein. Hier ist er während einer seiner von der begeisterten Menge getragenen Reden zu sehen.

Am 21.8.1968 marschieren die Truppen des Warschauer Paktes über Nacht ein und besetzen das Land. Dubcek muss sich in Moskau verantworten und wird seines Amtes enthoben.

Links: In Folkloregruppen und anderen Gemeinschaften werden die Traditionen der Regionen und auch der nationalen Minderheiten ausgelebt. Rechts: Auftritt des Vereins der Karpatendeutschen vor der Europafahne und der Fahne der Slowakei. Wir sehen wie die politische und geografische Veränderung auch schwungvolle Varianten in der volksnahen Kunst des Tanzes mit sich bringen.

Wie stellt sich die Diskussion um die zeitgenössische Kunst dar: ein Einblick in die Kontaktliste von alternativen Kulturprojekten der ersten Jahre des 21. Jahrhundert in der Slowakei . . . Wie überall – oder? …

Schlüsselwörter sind Kunst, Neue Medien und Gruppen. Unterschiede, wie sie früher zwischen der sog. Westkunst und Ostkunst registriert wurden, verschwinden allmählich, wie dies in den Aktivitäten einer jungen Generation engagierter Künstler, Kritiker und Kuratoren sichtbar wird. Trotz des immer noch geringen Interesses von Seiten der Kulturpolitik und des Mangels an öffentlichen und privaten Förderungen, entsteht in Bratislava und in anderen Städten eine lebendige Kulturszene aus Räumen, Gruppen, Kollektiven und Projekten. Links: Galerie Priestor für zeitgenössische Kunst. Rechts: Galerie HIT: ein offener Ausstellungsraum, der sich auf die jüngste Künstlergeneration konzentriert. Wir sehen Videoprojektionen, Objekte. Ein zuhörendes und zusehendes Publikum wie allerorten, staunend, gelangweilt, reserviert in einem kellerartigen Raum.

Der von Maria Riskova betriebene alternative Klub Buryzone (links) steht als Beispiel für das neue Kunstleben in Bratislava. Sie schreibt über ihr Engagement: „Ein kleines Land bringt logischerweise eine kleine Kulturszene mit sich, deren Lebensfähigkeit, Progressivität und andere Qualitäten von vielen Faktoren abhängig sind, sicherlich auch vom Bruttosozialprodukt, von Prioritäten des Staatshaushaltes und von den Entwicklungsstrategien innerhalb der Kulturpolitik. Allerdings entstehen (und gehen unter) und funktionieren die Aktivitäten und Phänomene, denen mein hauptsächliches Interesse gilt, auf anderen Grundlagen.

… Wenn uns ( … den Slowaken … ) das Leben an der an der Jahrhundertwende seit Anfang der 90er Jahre ein Gefühl der Außergewöhnlichkeit angesichts unserer Aktivitäten und unserer Zeit verleiht, sollten wir damit ironisch umgehen. Wir sollten uns der „neuen Zeit“ wirklich öffnen, und sie dadurch mitgestalten, wir sollten nicht das Kinoprogramm verfolgen, sondern unseren eigenen Film drehen. Es bedeutet zum Beispiel auch, dass wir die passiven Rollen, die uns scheinbar aufgrund irgendwelcher objektiven Wirklichkeit zugeschrieben wurden, nicht annehmen, sondern sie sogar unterwandern. Auf jeden Fall muss man sich aber über den Mechanismus der Entstehung dieser Stereotypen Gedanken machen: die junge Kunsthistorikerin aus Osteuropa wird nur noch wenige Jahre attraktiv sein. Es hat vor allem keinen Sinn zur Tragik sozialer, environmentaler, politischer, aber auch persönlicher Unglückserfahrungen, mit denen wir unaufhörlich konfrontiert werden, weitere tragische Momente in Form von Selbstmitleid, intellektuellem Zynismus und Überempfindlichkeit, Selbstsucht, Passivität und andere Eigenschaften hinzuzufügen, was für gewisse Kulturformen typisch ist und zu dem hier eine Alternative gesucht wird. Allmählich wandelt sich das wichtigtuerische Schlachtfeld der Kunstszene, das auf dem Wettbewerb basierte, in einen „offenen“ Spielplatz von kooperierenden Kulturaktivitäten (Räume, Gruppen, Einzelpersonen, Projekte) und die verschlafene globale „Manufaktur“, die sich auf die Produktion von Artefakten konzentriert, wird von einem Netz mobiler Gruppen und Einzelpersonen ersetzt, die imstande sind im kulturellen und sozialen Klima Änderungen bewirkende Gedanken, Ideale und Situationen generieren.“

Gut gedacht oder „gut gebrüllt Löwe“, aber wie sieht nun die Kunstszene aus, wenn z. B. die Riskowa an einem Projekt mitarbeitet.

Die Ausstellung „Check Slowakia“ grenzt sich im Titel klar als „check in“ beim Start, beim Abflug oder der Abreise, also als Abgrenzung von der nicht mehr existierende Tschechoslowakei ab. Ab 14. Mai 2004 gab es in Berlin die Ausstellung zu sehen. Ab 1. Mai war die Slowakei Mitglied der EU.

Was packt die Slowakei nun in ihr Reisegepäck an Kunst beim Einchecken nach Europa oder in die Globalität? Was ist im großen Koffer, was im Handgepäck, reicht auch nicht schon der Reisepass als Kunstausweis? Ist ein Andy Warhol als Erinnerungsfoto dabei? Wie steht es mit schwarz und weiß, wie mit Malewitchs schwarzem Quadrat und seinen Variationen? Und Marcel Duchamp als künstlerische Nahrung, auch Nachfragen über Andy Warhol? Wie sind die Resteinwirkungen der gemeinsamen vergangenen Tschechoslowakei, das Gemeinsame, das Trennende heute in der Kunst?

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