Tschechien

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Zwischen Begeisterung und Ablehnung pendeln sich die tschechischen Künstler in die veränderte gesellschftliche Situation ein.

Mit Ironie und grotesken Gesten schaffen sie künstlerische Kommunikationsformen, die den Betrachter nicht unberührt lassen.

Abb. Kristof Kintera, We`ve got the Power. Kartoffeln, Elektroden, Digital-Armbanduhren, Voltmeter. 2003

Vortrag mit Dias von Roswitha Siewert am 8. November 2005 in der Volkshochschule Lübeck und am 19. Juni 2008 in Wolfsburg

Aktuelles Vorwort

Das Nein aus Irland hat die Europäische Union in eine Krise versetzt. Ausgerutscht über den EU Reformvertrag, der so etwas wie eine verfassungsmäßige Grundlage des 500-Millionen-Gebildes EU werden sollte, steht die EU vor der Auflösung oder lässt die Krise sich als Chance für einen Neubeginn umwerten. Da alle 27 Nationalstaaten dieser Hausordnung zustimmen müssten, meist sind es die Regierungen und Parlamente, in Irland stimmen die 3 Millionen Wähler selbst, ist Irland im Moment das Zünglein an der Waage.
Kritik: Brüssel greift zu sehr, obendrein noch im schwerverständlichen Verwaltungssprache in die Eigenart der Länder, ein. Dies wird von den auf ihre Besonderheit stolzen Europäern als impertinente Einmischung angesehen, um das Problem ganz allgemein zu benennen.
Über die Feinheiten der EU Krise und des möglichen Weitermachens wird heute in einer Krisensitzung nachgedacht.
Da – wie im letzten Vortrag schon getönt – Bilder meine Argumente sind: das Festhalten der augenblicklichen Situation der EU in einer Karikatur von TOMICEK unter den Titel „Irische Butter“. Der Göttervater Zeus als Stier gleitet im Rundbogen auf der No – Butter, die mit der Irlandflagge getarnt, bedeckt war aus. Seine gerade entführte Europa lernt das Fliegen und kann sich noch mit einer Hand an einem Horn festhalten. Die Balance ist verlorengegangen.
Wer unterschreibt nun den EU- Reformvertrag oder wer schreibt ihn neu?
Vielleicht haben wir am Schluss des Vortrags eine Antwort?!

Aktuelles Nachwort

Bild 52. Aber auch überrascht trivial in Todesakrobatik, doch mit einem Quantum an Humor, kann die Symbolik des Pferdes in Prag im halböffentlichen Raum begegnet werden: Von der Decke hängt ein Werk des Künstlers David Cerny (die Revolver-Plastik war von ihm ) der hier die Reiterstatue des heiligen Wenzel auf dem Wenzelsplatz veralbern wollte. Viele Tschechen halten diese hängende Statue für geschmacklos, aber die Touristen kommen, auch wegen des Jugendstilambientes.

Bild 53. Das Wort Jugendstil hat in Prag einen großen Namen. Alfons Mucha hat ein eigenes Museum. Im Veitsdom, der nicht nur als Gebäude, sondern mit vor allem durch die Pracht der Glasfenster den Atem stocken lässt, ist ein Fenster von Mucha konzipiert zu entdecken, rechts der Liebreiz der Prinzessin Hyacinta von 1911, das Plakat kündigt das von einem Schmied handelt, der davon träumt, dass seine Tochter eine von einem Zauberer entführte Prinzessin ist. Dargestellt ist die damals beliebte Schauspielerin Andula Sedlackova mit ihren eisblauen starren Augen. Dazu dekorative Herzen, Schmiedewerkzeuge wie Amboss und Hammer, Krone und Zaubergerät . . . und all überall Hyazinthenblüten.

Bild 54: Zauberhaftes, Märchenhaftes auch bei Josef Mzyk in seine Bildern vom verlorenen Paradies. Es muss nicht Rotkäppchen sein, das er auch malt. Hier die weiße Gans im Porträt, vor einem weiteren Bild, das einen Durchblick wie ein Fenster in eine gedachte Welt, öffnet. Klare, leuchtende Landschaften, die zur magischen Wirkung gesteigert werden. Dekorativ und illusionsreich.
Aber was ist das Märchenhafte tschechischer Ausprägung: das Märchen ist Bestandteil des Realen und findet auch dort statt und ist es selbst.

Bild 55: Die Realität aus Naturhaftem zur Erinnerung im Bild- noch einmal: Acrimboldi und Rudolf II, beide sind hier nicht nur im Bild, sondern sie sind auch eng mit Prag verbunden.

Bild 56: Katerina Seda (geb. 1977) Thema sind die ständig wachsenden Mauern und Grenzen in ihrem Heimatdorf Liseo. Gezeigt auf der diesjährigen 5. Berlin Biennale in den Kunstwerken als Vorarbeit : Schlüssel und Leitern, dazu Zeichnungen und Modelle, oft in Kreisformen, zu ihrem gezeigten Projekt „Over and Over“. Das fand dann in Gemeinschaftsarbeit mit den nach Berlin eingeflogenen Nachbarn in der Nähe des Spittelmarkts, wo ein Skulpturengarten mehrere Kunstpositionen aufzeigte.

Bild 57: Entstanden ist ein Rundzaun, der die Relikte zeigt, die die sozialen Unterschied zwischen den Einwohnern aufzeigt und zu überwinden versucht. Sie hatte in Liseo eine imaginäre Linie durch das Dorf gezogen, vom Bahnhof bis zu ihrem Haus und bat die Einwohner, deren Grundstücke an der Linie lagen, ihr bei der Überwindung der Schwellen behilflich zu sein.

Bild 58: Hier die nach Berlin eingeflogenen Dorfbewohner, rechts Katerina Seda. Wäre das auch eine Schwellentherapie für das im Moment so angeschlagene Europa? Aber Tschechien ist neben Irland ein weiterer unsicherer Kandidat für die Ratifizierung des EU- Reformvertrages.

Bild 59: Sind die Kanonen schon wieder im Blumenbeet versteckt: eine rosa Variante von Jiri Chernicky „Fliegenden Teppichen“ 1999.

Bild 60: Oder ist es das Ende? Nur Verhüllung, Innen das Nichts oder die geheimnisvolle Leere. Am Ständetheater eine Plastik von Anna Chromy: „Il commandatore“.
Visionäres Blau, goldene Locken (links), ein Jüngling vor dem Ständetheater. 2006 wurde Mozarts 250. Geburtstag gefeiert: Mozart forever.

Bild 61: Was wird aus der EU? Was aus Europa: Hoffnung und Verzweiflung halten auch in der Kunst die Waage. Die nationale Identität und ein gemeinsames Erbe gilt es in die Balance zu bringen. Wenn es intellektuell schwer zu begreifen ist, und nach Verständlichkeit und Transparenz wieder gerufen wird.

Bild 61: Hat es da der Fußball zur Europa-Meisterschaft einfacher. Der kleine tschechische Emotionalclown hüllt sich nach der Niederlage Tschechiens in seine Landesfahne. Für den Augenblick wärmt sie vielleicht.

Roswitha Siewert