Der Mensch in sommerliche Szenen gesetzt
Ein charmantes Lübecker Kunstphänomen
Zeitmomente aus Figuren und Porträts von heute im Werk von Ingrid M. Schmeck
Veröffentlicht in: „Der Wagen – Lübecker Beiträge zur Kultur und Gesellschaft“ 2014
Eigentlich wollte Ingrid M. Schmeck Zeichentrickfilmerin werden. Die Ausbildung war auf den Weg gebracht. Das Talent augenscheinlich. Sie blieb dabei, die Mitmenschen mit scharfen Kameraaugen im Blick zu behalten, ihnen aber eine flanierende Freiheit der Bewegung und ausgeglichene selbstverständliche Individualität zu lassen. Keimzelle auch dieser Kreativität ist der Zeichenstift. Ihre Bilder können laufen wie im Film. Zeichnen ist eine ihrer Stärken. Der Trick ist die eigenwillige Entwicklung ihres unnachahmlichen und einzigartigen Stils. Der Zeichenstift kann Mittel und Ventil sein, der Realität Schaumkronen aufzusetzen, Licht und befreiende Lineaturen zu eröffnen, Dinge und Menschen zum Strahlen zu bringen, behende Leichtigkeit verspühen und einfach gute Stimmung verbreiten. Das heißt Poesie mit Realität verbinden.
1944 wird Ingrid Schmeck in Posen geboren, erst 2014 besucht sie zum ersten Mal ihre Geburtsstadt, aufgewachsen ist sie in Schleswig-Holstein, vor allem in Eckernförde, Studium an der Fachhochschule für Gestaltung in Kiel und Hamburg (Tutorium). Seit 1975 lebt sie freischaffend in Lübeck.
Bekannt ist Ingrid Schmeck durch ihre Haus – und Stadtlandschaften, ihre Häusergruppierungen in Straßen und um leere Plätze. Lübeck, Eckernförde, Schleswig-Holstein, Städte wie Hamburg, Berlin, Lissabon,Venedig usf., Länder wie die Schweiz, Frankreich oder Griechenland fallen dem Sammler und Liebhaber ihrer Werke ein. Durch die Meereslandschaften, Strandsituationen, Häfen im Alltag und Sonntag kommt sie nicht nur dem Geschmack des Nordens entgegen, ihre griechischen Impressionen aus Unterwegssein und Verweilen denken über existentielle Fragen nach: ein großes Thema gibt den Gongschlag zum Duo von Leben und Tod, facettenreich von ihr bearbeitet. Fasnacht/Karneval deckt den Bereich von Kleidung, Verkleidung, Hülle, Schutzanzug und Maske ab. Aber auch Neubeginn, Frühling, nach Endzeit und Winter. Beliebt sind ihre Blumenbilder: Aufblühen, Knospen, Blühen, Welken, Vergehen. Wie kein anderes Thema zeigen sie Schönheit, Würde, Zerbrechlichkeit und können dadurch Gleichnis für eigene Befindlichkeiten werden, so formuliert es Ingrid Schmeck für ihre Lebenssituationen. Sie sprechen den Betrachter spontan an. Eine Welle der Sympathie verstärkt sich gegenseitig in dem Wunsch, das Beste in die Welt hineinzusehen oder aus ihr herauszuholen. Mit beharrlichem Charme stellt sie ihr zeichnerisches und malerisches Können in diesen Dienst. Kalkuliert, aber höchst sensibel wird der Malprozeß zur Droge: “ Es hat mich berauscht bis zum Herzklopfen, ich habe gemalt – atemlos“, schreibt sie in einer Sommernachtsnotiz 2014. Ihre Bilder streifen, berühren uns wie kleine leise „Song-paintings“: ein paar in Wasserfarben gehaltene Träumereien, dazu auch kräftigere und wilde Deckfarben, pastellfarbene Geständnisse und leuchtend klare Porträts.
Zur Zeit gibt die Ausstellung „Meeresluft und Rosenduft“ im Lübecker Kunstkontor-Die Rahmer, einen Einblick in ihren unverwechselbaren Stil mit den vertrauten Themen in Zeichnungen, Radierungen und Aquarellen ( bis 6.9. Breite Straße 4). Über die skizzenhaften Notizen zeichnet sich ein Lebensstil ab, der das Regionale der Lübecker Art auszeichnet, aber auch das globale allumfassende Gehabe- das Know-how- zum Inhalt hat. Ihre Arbeiten sind raffiniert und naiv zugleich. Sie zentriert Kreativität mit allen Fasern auf Kunst und Leben. Alltag, Kunst, Kunstmanagement lassen sich in ihrer Kunstproduktivität auf Vieles ein, auch darauf „davon zu leben“. Ein Phänomen: ohne von einem Zweitberuf oder Sonstigem zu überleben. Sie lebt mit ihrer Familie und ihren Freunden. Sie stützen sie und sie fordert und bittet sie.
Was ist ihr Erfolgsgeheimnis? Was ist ihre unverwechselbare Art? Wie geht ihre Umsetzung von behutsamer Beobachtung und Wahrnehmung aufs Papier? Ihr Stil? Wo und wie grenzen sich Mensch und Werk voneinander ab, wo sind sie beide stimmig? Wo bleibt der Mensch in ihrem Werk? Wie taucht er auf? Gibt es die vertrauten Kunststücke von Porträts? Wie könnten Gesichter aussehen in einer Zeit, die durch Fotografie und digitale Bild-Produktion geprägt sind? Schlägt das aktuelle Selfie – Wiedererkennen des Gegenüber aus einem Mix an Grimasse, Verzerrung, Ähnlichkeit und Frohmut – alles aus dem Blick-und Bildfeld? Wie erscheinen die einzelnen Menschen in Gruppen und in der Masse? Sie tragen die Mode, besser den trendyhaften Outfit zur Schau, aber darüberhinaus auch sich selbst, meist locker vor Urlaubkulisse. Wodurch sind sie geprägt: die Faces, Gesichter, Bildnisse, Porträts, Masken, auch Porträts ohne Gesicht?
Auf Fragen antworten Bilder.
Ingrid Schmecks künstlerische Arbeitsweise: Sie hat kein Atelier, sondern eine Wohnung, die als Gesamtraum mitspielt und mitgestaltet. Eine Malecke am Fenster mit einem Tisch auf dem die Aquarellfarben und Pinsel liegen, dazu das Papier. Es ist ein Atelierkonzentrat. Hier entstehen Zeichnungen und aquarellierte Radierungen. Beim Ausprobieren der Aquarellfarben können Entwürfe für Neues entstehen. Ausgangspunkt ist meist das Skizzenbuch, das Zeitaktuelle hat Ingrid Schmeck immer bei sich. Über 60 Beispiele unterschiedlichster Skizzenbücher existieren bereits. Fotos werden zur Überprüfung der Erinnerungen herangezogen. Mittelpunkt bleibt das Skizzenbuch, als selbstständiges Kunstwerk und als Ideenquelle für Radierungen. Sie begleiten ihr künstlerisches Leben: alles was sie und ihre Themen betreffen, wird aus der Situation heraus mit dem Stift festgehalten. Die Straße als Ort der Inspiration, das Vorbeiflanieren der Menschen füllt ganze Blätter, jede Person wird in ihrer persönlichen Bewegung und Outfit festgehalten, auch die Beziehung, das Gespräch – fast worüber man spricht – wird in der Skizze ablesbar. Einfach unterwegs sein, einfach unter Menschen sein, ist der Motor, der das Herzklopfen zum Anderen in Bewegung hält und den Zeichenstift rotieren läßt. Sie arbeitet gern im Zug. So ist das Reisen eine Quelle ihrer Kunst. Mit der Bahn heißt mit der Gesellschaft unterwegs sein. Nun ist sie keine fliegende Reporterin im Rundumeinsatz: Neben dem Unterwegssein, gehört das Verweilen nicht nur zu ihrer Erholung, sondern auch zu ihrer Malweise. Das Sitzen im Cafe, die Tasse Cafe, sind zwar Motive, sie helfen auch beim schnellen Fixieren des bildkünstlerisch interessanten Augenblicks.
Neuere Blicke in Skizzenbücher, die das Unterwegssein im Zug nach Eckernförde (2013) und im Schnee( 2013) dokumentieren: Im Zug: in weichen sichereren Umrisslinien ist ein junges, modernes Paar im intensiven, den anderen meinenden Gespräch vertieft, modische schwarze Jacken, mit Gruppenzeichen; dazu die vertrauten blauen Polsterbezügen mit kleinen schwarzen Karos. Dokumentiert ist die spontane Skizze im Skizzenbuch in Schwarz/Weiß, nur die colorierte übermalte Fassung gibt es noch als Original. – Im gleichen Jahr 2013 entstehen Skizzen in Luzern: eine Fasnacht im Schneegestöber. Ein Ausschnitt zeigt zwei stark geschminkte, gestikulierende Damen mit Hut: verschiedenen Generationen zugehörig. Festgehalten mit dem Zeichenstift ist das Zuhören und das Reden, dazu die Strenge in Rot und das flirrende Spitzengewirr der Verkleidung.- Punktgerecht vom Feinsten ist die Skizze von Horst Krüger im Zugabteil. Anreiz ist die Neigung kreativ zu werden, die Arbeitsbeziehung gemeinsam ein Buch zu gestalten… Reise mit der „Donauprinzessin“. Buchtitel “ Ein himmlisches Vergnügen“ 1990 und „Wie Gott in Frankreich“, Reise mit der Princesse der Provence.Texte zu den Fluß-Kreuzfahrten sind von Horst Krüger als Reiseschriftsteller.
Das Flugzeug: Fliegen wird zur schützenden Hülle im Luftraum. Eine Lebensbetrachtung und ein Vertrauen in alles, was lebt und fliegt, das auch den Betrachter mitreißt. Das Konzentrieren, Abbild des Erlebten und Empfundenen gestalten, geschieht dann in der Malecke der Wohnung: im kleinen Atelier.
Unterwegssein ist das große Atelier. Die Bewegung in den Elementen hat stimmungsvolle Nuancen: Fliegen im Flugzeug verspricht die haltende Hülle, wenn es dem Himmel, der Sonne näher geht. Ein gemeinsames Zusammensein in kleiner insulärer Kapsel. – Flanieren am Strand dagegen, bringt es zur Aufreihung der einzelne Menschen und Gruppen in der Skizze, wie zum Defile auf dem Laufsteg. Die Reihung von Menschenketten ist in ihren früheren „Promenaden“ Stilmittel. Pur ohne Häuserkulisse, keine Landschaft, eher am Strand werden diese additiven Menschenzüge gezeigt, erinnert wird an die Darstellungsweise im alten Ägypten, die ganze Wände gestalteten. 2013 wird die Variante dieser Bild – Situation ungezwungener und individueller. Ein Beispiel von Griechenland „Naxos.. man sitzt und guckt und geht und geht…“ und Mykonos 28.7. 2013. Ein erzählerisches Moment, das Gespräch beim Flanieren, garniert mit ein bißchen Philosophie, Wetterprognose und Freude auf das Nächstliegende wird bewegt und durchweht vom erfrischenden Meereswind. – Eine Skizze mit einem geschundenen Adler, darunter steht Bundesregierung zu lesen: zwei Tauben auf Suche, klein in der oberen Bildecke. Text:“ Vertrauen ist keine Frage der Herkunft. Der Nationale Integrationsplan.“ Großzügig und sicher in den Linien bzw. Umrissen ein junges Paar im ernsten Gespräch mit dem politisch aktuellen Thema der Migration.
An Bord eines Schiffes oder Schwimmen im Meer: “ Hier geht es nicht um Orte. Es geht um das Atmosphärische. Malen und Schwimmen ergänzen sich. Ich lebe mit den Farben. Nicht Blau zu malen, sondern zu empfinden“, sagt Ingrid Schmeck, die auch eine begeisterte Schwimmerin ist, nicht nur im weiten Meer, sondern auch in der amazonasengen Wakenitz.
Grenzen zwischen Gesicht, Masken und Porträit zu ziehen ist ein weites beackertes Feld. Aktuell ist Hans Beltings (Kunsthistoriker) Buch „Faces“ (Eine Geschichte des Gesichts. 2013). Dem Porträt wird die wiedererkennbare Individualität abgefordert, das Gesicht ist ein Ausfließen natürlich vorgegebener Gesichtszüge, die sich allen Umsetzungen in Kunst zwar anbieten, aber nicht vereinnehmen lassen. Gesichter als Innenräume, die von Bildern zugedeckt werden können. Die Maske, wenn sie eindeutig ist, ist ein auf- bzw.vorgesetztes Gesicht zum Verkleiden. Für Ingrid M. Schmeck offenbart der Mensch eine Sicht auf sich, die im Alltag nicht zu sehen ist: “ Man spürt etwas von dem, was versteckt ist. Etwas wird nach außen gekehrt, dem man begegnen kann…Es sind nicht Menschen hinter Masken, sondern die Masken zeigen Menschliches. Wölfe sind eben Wölfe und keine verkleideten Menschen.“
Kleidung muß nicht als Mode auf dem Laufsteg geschehen, Kleider können sich verselbstständigen und als Solitäre einsam auf dem Kleiderbügel hängen: „der Ball fand nicht statt“, melancholisch betitelt. Schutzmäntel, Hüllen für Gesicht und Körper, sind in Ingrid Schmecks Arbeiten keine Friesennerze, sondern ballen sich daunenhaft zu wolkiger Zauberdichte: „ein Mantel der Wolkenfülle“ (2008). Sie selbst hüllt sich härter, in Backstein; der Betrachter spürt den Stein, jeden einzelnen Backstein, auf seiner Haut. Sie läßt die Häuser wie Marionetten um sich tanzen; surreale Momente ziehen auf. Das Gesicht stellvertretend als Zeichen eines Ganzen, des Humanen. Die Häuser sind wie in Kleists literarischem „Marionettentheater“, hier sichtbar im Bild, aufgehoben. Ein Selbstporträt: demütig und stark, verspielt und ernsthaft, anmutig und traurig, tanzend und geerdet, zäh und zart.
Abbildung I.M. Schmeck.
Der Leser sollte vergleichen können! Fotos: R Siewert nach Skizzenbüchern
Kamermann in Aktion. Skizze ( Kinderbuch „Kunterbunter Regentag“ 1974). Dazu drei Fotos im filmischen Ablauf (21.8. 2012 “ am Meer noch der Duft von Ferne und Nähe. Naxos)
„Im Zug nach Eckernförde“ (2012/13) links und „Luzern – Fasnach im Schneegestöber“ (Ausschnitt aus Neues Skizzenbuch 2013) rechts. Beide sind aus Skizzenbüchern.
Griechenland Mykonos( 28.7. 2013) links und Naxos „man sitzt…“ (1.8.2013) rechts. Skizzenbuch
„Vertrauen ist keine Frage der Herkunft“ (2007?)Skizze und Horst Krüger im Zug (1990).. Skizze Feder und Farbstift.
Mantel:Wolkenfülle (vom 26.9.07- 2.1. 2008) und Ingrid M. Schmeck in „Augenstimmen“ 1988 (Collage)