Zypern

flyer_zypern

Zypern ist eine geteilte Insel im Mittelmeer.

Der Süden gehört seit 2004 zu EU.

Was zeigt die Insel der Aphrodite in diesem Konflikt als Kunst aus lokaler Eigenart und der Herausforderung in einem globalen Kulturraum Mitglied zu sein?

Abb. Maria Loizidou, Let`s get lost. Stoff, 2001

Vortrag mit Dias von Roswitha Siewert am 6. Dezember 2005 in der Volkshochschule Lübeck

Willkommen zum Endspurt!

Zypern, eine geteilte Insel im Mittelmeer, ist das letzte der zehn Länder, die am 1. Mai 2004 Mitglied der EU wurden. Nur der Süden der Insel gehört zur EU. Die erweiterte Kunst Europas wird in Bereiche vordringen, die sich ins türkische und griechische vortasten. Griechenland gehört seit 1981 als Vollmitglied zur EU, die Türkei ist in heißer Diskussion um ihre Mitgliedschaft zur EU. Aber nicht nur diese beiden Länder beeinflussen die Insel. Bis 1960 stand sie unter britischer Kolonialherrschaft. Manche nennen die rund 715.000 Bewohner im Südteil der drittgrößten Mittelmeerinsel auch „ britische Griechen“. Die türkischen Nachbarn im Norden der Insel, stellten etwa ein Drittel der Gesamtbevölkerung dar. Eine beträchtliche Zahl ist schon vor geraumer Zeit nach Großbritannien ausgewandert. Angeblich wohnen heute in London mehr türkische Zyprer als auf der Heimatinsel.

Links die Eingangssituation zur Ausstellung von Hussein Chalayan. Er ist 1970 in Nicosia, Zypern geboren ist griechischer und türkischer Abstammung; lebt und arbeitet in London. Seine Ausstellung ist zur Zeit in Deutschland, im Kunstmuseum in Wolfsburg, zu sehen. Er ist Philosoph. Er ist Modedesigner und beschäftigt sich mit modeuntypischen Fragen der Natur, Kultur und der Technik. Sein besonderes Interesses gilt dem Problem der kulturellen Identität, außerdem der Bedeutung des Nationalstaates oder den Themen der Migration und Nomadentum. Eine schwarzgekleidete, besser vermummte mit hohem spitzen Hut steht auf der obersten Stufe einer weißen Trittleiter und überstreicht eine rote Wandfläche mit einer in weiße Farbe getauchten Rolle, die ihre Streichspuren und Abgrenzung aufzeigt. Die Hälfte ist weiß gestrichen. Wir kommen noch auf diesen Künstler zurück. Übrigens die rechte schwarze Gestalt ist nicht Markarios der im Ausstellungsraum verschwindet.

Um etwas Klarheit in die komplizierten Verhältnisse zu bringen, könnte wieder ein Kurzblick auf die Geschichte und das Land nützlich sein. Links nun tatsächlich Markarios, der griechische Erzbischof Markarios III. als Monumentalstatue in Nikosia. 1960 verabschiedet Großbritannien Zypern in die Unabhängigkeit Staatspräsident der neuen Republik wird Markarios, Vizepräsident der Türke Fazil Kücük und innerhalb weniger Monate wird die Insel sowohl in die Uno als auch in den Europarat aufgenommen. Rechts, das ist nicht der Vizepräsident Fazil Kücük, sondern der „ Supermuslim. Eine Arbeit von Sener Özem 2003. Zwei Religionssysteme: das griechisch-orthodoxe und der Islam stehen sich gegenüber und machen aus Zypern einen Zankapfel der Religionen und Völker. Das Hin und Her des Konfliktes schwelt weiter. Als die Regierung in Nikosia 1963 mit einer Verfassungsänderung die Rechte der türkischen Minderheit einschränken will, strebt der Norden einen Anschluss an die Türkei an. 1974 kommt es zu einem Staatsstreich griechischer Offiziere gegen Markarios, den die Türkei mit einer Invasion des Nordens Zyperns beantwortet.

Seitdem ist Zypern eine durch Stacheldraht und Minenfelder geteilte Insel, auf der UNO-Truppen versuchen die verfeindeten Volksgruppen auseinanderzuhalten und Frieden zu bewahren. Die Lösung des Zypernkonflikt steht immer noch an. Der griechisch-türkische Konflikt hat seine Wurzeln bereits im 16. Jahrhundert, als die Türken für drei Jahrhunderte die Macht übernahmen. Zum ernsthaften Konflikt wurde es erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Ausgangspunkt der sich scheinbar unversöhnlich gegenüberstehenden Ansichten der beiden Volksgruppen sind auf der einen Seite die Enosis, die angestrebte Vereinigung Gesamt- Zyperns mit dem griechischen Mutterland, und der von der türkischen Minderheit lange Zeit verlangten Spaltung der Insel und einen Anschluss des Nordens an die Türkei. Die Blütezeit der Einigung und der Schein einer friedlichen Lösung von nur drei Jahren (1960 – 1963, dann entscheidend der Staatsstreich gegen Markarios 1974) war kurz.

Arab ahmet Moschee in Nikosia und Säulen der Palästra in Salamis: Selbst die Interpretationen der geschichtlichen Fakten werden unterschiedlich gelesen: Die Türken werfen der Regierung Markarios vor seinerzeit die Rechte der Minderheit drastisch beschneiden zu wollen. Und die Griechen? Sie beharren darauf, die damals angestrebte Verfassungsänderung sei nötig gewesen, um das Land am Leben zu halten. Also Zustände wie kürzlich in der Europäischen Union, die kleine Insel spielte Europa vor!

Während für Europa augenblicklich die bleierne Zeit angebrochen ist, mischte man 1974 in Zypern auf: Die Türken nutzten den Putschversuch. Er diente den Türken als Vorwand für eine militärische Intervention im Norden, um die eigenen Landsleute zu schützen. 35.000 türkische Soldaten wurden in Nordzypern stationiert. Siedler aus Anatolien auf die Insel gebracht – gleichzeitig aber wurden 200 000 Griechen aus dem Norden sowie 45.000 Türken aus dem Süden der Insel vertrieben. Seither bewachen Blauhelme die Grenze. Das Makaberste bzw. kuriose war: Der Versuch der vereinten Nationen, das Land friedlich zu vereinen, scheiterte nicht an den Türken, sondern an der griechischen Mehrheit. Die hatte zwar Jahrzehntelang den Traum von einem vereinten Zypern gepredigt, verweigerte aber jetzt mehrheitlich dem Norden den Handschlag.

Zypern ist die drittgrößte Insel des Mittelmeeres mit einer Gesamtoberfläche von 9.851 qkm. Die Küsten sind buchtig und steinig mit langen Stränden und Buchten. Entlang der Nordküste, die mit Oliven- und Johannisbrotbäumen bedeckt ist, erhebt sich einen steile Gebirgskette aus Kalkstein (Pentagaktylus). Im Südwesten erstreckt sich das ausgedehnte Bergmassiv von Troodos mit dem Berg Olympos. Links die Landkarte der Insel. Die Grenzeinzeichnungen zwischen Norden und Süden sind politisch schwer zu erkennen, meist eine gestrichelte schwarze Linie, die sehr durchlässig erscheint. Auf dieser Karte geht sie von Kato aus, an der Nordwestküste nach Nikosia und dann südlich verlaufend, bis nach Ammochostos, dem früheren Famagusta, hier lebte und regierte Shakespeares Othello.

Augenpaare aus 10.000 Jahren Geschichte und Zivilisation blicken uns an. Schon der Name Zypern nach Kupfer (Latein. Kypros – der griechische Name Zyperns) weist auf die Entdeckung in der Kupfersteinzeit (3.900 – 25.600 vor Chr.). Oben: aus dem 3.000 der Kopf einer kleinen Idolfigur, die kreuzförmig aufgebaut ist, eine wunderbare formale Synthese als Kreuz; und oft senkrecht einen weibliche und waagerecht vermutlich eine männliche Figur darstellen, sind meist etwa zehn cm groß, vielleicht Vorbild der bekannten Mainzelmännchen. Dann: 100 vor Chr. der hellenistische Blick, Mosaiken um 350 vor Christ und Wandmalereien 1.200 A. Chr.

Zypern ist eine göttliche Entdeckung. Genauer die Aphrodites wie es der griechische Dichter Hesiod vor 2.700 Jahren sogar schriftlich festhielt. Die Tochter von Uranos, dem Himmel und Gaia, der Erde, wurde im Meer geboren: die Schaumgeborene. Lange trieb sie über den Wogen, bis sie endlich an den Gestaden Zyperns irdischen Boden betrat. Als Teil des Meeres mit Sehnsucht nach Boden, nach Erde. Wo immer sie ihre Füße aufsetzte, begannen Blumen zu sprießen. Wer im Frühjahr über die Insel wandert, hat auch jetzt noch das Gefühl, die Göttin müsse gerade eben dagewesen sein. Nach Homer ist sie Tochter des Zeus und der Dione, Gemahlin von Zeus auch, von Hera zurückgedrängt genoss sie in Dodona neben Zeus kultische Verehrung.

Rechts die Küstensituation, die Bucht und Felsen und das Meer dem Aphrodite (Griechisch, Römisch: Venus) entstiegen ist. Es ist der Felsen Petra tou Romiou zwischen Pafos und Lemesos im Südwesten Zyperns. Die realen gestaffelten Landzungen scheinen im Bild von Botticelli kulissenhaft den Blick in die Tiefe zu ziehen. Als Göttin der Fruchtbarkeit und Liebe ist sie aus dem Schaum des Meeres aufgetaucht. Aus dem griechischem Wort für Schaum (Afros) leitet sich ihr Name ab. Archäologische Funde in Kouklia bei Pafos bestätigen, dass hier einst eines der größten Heiligtümer der Antike gestanden haben muss. Links wohl die bekannteste Darstellung von Sandro Botticelli „Geburt der Venus“ ( Ausschnitt ) um 1485. ein Auftragswerk der Medici in den Uffizien, Florenz zu bewundern. Als neues Menschenbild wurde der Mythos gefeiert.

Rechts das Aphrodite-Heiligtum mit der römischen Säulenhalle in Alt­Pafos, heute Kouklia. Und. Noch einmal die Ankunft oder Geburt der Venus von Botticelli. Wohl die schönste Darstellung der Kunstgeschichte: Auf diesem Bild wird der klassische Mythos von der schaumgeborenen Venus mit tieferer individueller Poesie und vollkommener stilistischer Freiheit wiederbelebt: in der nackten Göttin auf der landenden Muschel sah Botticelli nicht etwa die fleischlich-sinnliche, sondern die geistige Inkarnation der Aphrodite Anadyomene ( die aus dem Meer auftauchende ), deren Reinheit durch die Traumhaft sicherer Maltechnik und feinfühligen Phantasie getragenen Darstellung glaubhaft wird. Spannend ist der Bewegungsrhythmus im Bild. Er ist ein besonders starkes Gestaltungsmittel. Während die scheinbar im Mittelpunkt durch die von Zephir und Chloris ausgehende Bewegung nach rechts getragen wird, wirkt die mit dem Mantel herbeieilende Magd als Gegenbewegung, die das Gleichgewicht der Komposition wahrt. Um des schwebenden Gleichgewichts willen täuschte Botticelli auch den Eindruck einer räumlichen Tiefe vor, indem er die Landzungen hinter der horizontalen Ebene des Vordergrundgeschehens in das flimmernde Meer lenken ließ. Um das Allegorische des Gemäldes zu betonen, verzichtete Botticelli auf jedes unnötige realistische Beiwerk. Selbst die Wellenbewegungen werden nur kürzelhaft angedeutet. Mit mächtigen Flügeln, von Tüchern umflattert schwebt der blasende Windgott Zephier ins Bild. Dione (Chloris) umfasst ihn mit beiden Armen, sein linker Arm trägt sie mit. Wie Schmetterlinge umschwirren die Blüten – zwischen Rose und Kamelie – die beiden. Er bläst sie auseinander und auf Venus. Selbst das offene Haar geht im Schwung mit. Den Kopf geneigt, ein Hauch von Schwermut in den Augen und im Lächeln.

Gefunden in Ausgrabungen in Zypern: weibliche Köpfe. Links aus Arsos, Kalkstein, frühes 5. Jahrhundert 13 cm. Das Diadem ist mit männlichen Figuren und Rosetten geschmückt. Dann 50 Jahre später, jünger von uns aus: zur klassischen Periode gerechnet auch ein weiblicher Kopf aus Kalkstein, aus ldalon 33,5 cm. Rechts: ein Frauenkopf aus Marmor. Aus dem Heiligtum von Arsos frühes 3. Jahrhundert, hellenistisch, 27 cm. Individualität wird dem Kopf durch die Behandlung des Mundes mit aufgeworfener Oberlippe und die Modellierung des Kinns und es wird angenommen, dass man es hier mit einem Porträt zu tun hat. Links: ein Ausschnitt aus der Darstellung eines mit Weinschläuchen beladenen Ochsenwagens, Mosaikfußboden in der Säulenhalle des „Hauses des Dionysos“ in Paphos. Aus der Zeit. 3. Jahrhundert nach Christi. Kein verwandelter Zeus der, sich anschickt Europa zu rauben, sondern Zug und Lasttiere.

Es gibt noch ein spätes Beispiel dieser Epoche, das auf eine Venus – Darstellung hindeutet. Die Marmorstatue der Aphrodite/Venus aus Soloi, die im Cyprus-Museum in Nikosia aufbewahrt wird. Die Göttin ist nackt dargestellt und in einer Stellung, die an die berühmte Aphrodite von Cerene erinnert. Ihr Kopf ist leicht nach links gedreht, die Oberflächenbehandlung des Körpers und des Gesichts ist äußerst verfeinert und bringt einen beinahe durchsichtigen Effekt hervor. 1. Jhrh. vor Christus. Es gibt auf Zypern für den Touristen auch die Aphrodite Route: sie führt vom Bad der Aphrodite über ihren Geburtsort Koukia bis nach Nikosia. Ihr Abbild ist das werbeträchtige Bild der Venus, das den Touristen mit nach Zypern lockt.

Aber auch die auf uns aberwitzigen Idolfiguren, die es in Massen gibt sind nicht ohne Reiz. Sie sind zum Teil lebensgroß, aber auch handgroß, also winzigen Miniaturen. Es sind die Terrakotta-Funde aus Ayia Irini. Es gibt etwa 2.000. Die meisten stammen aus dem 6. und 7. Jahrhundert vor Christus. Vermutet wird, dass in diesem Heiligtum ein Fruchtbarkeitsgott oder -göttin verehrt wurde. Die vielen Kriegerfiguren, auch Streitwagen und Tiere lassen aber auch einen Kriegsgott nicht ausschließen. Fast alle tragen konisch nach oben verjüngte Hüte, die Vorfahren des Gartenzwerges sein könnten aber auch Formen göttlicher Kinder, die aus Höhlen geborgen wurden. Enganliegende Kleider, dazu die aufgetürmte Kopfbedeckung ist eine Inspiration für heutige Modeschöpfer.

Dias. Die männlichen Götter Zyperns. Links die Statue des Zeus Kerannios (des Donnerers). Kalkstein. Aus Kition archaisch, um 500 v. Chr., Höhe 56cm. Griechischen Einfluss lässt die Figur vermuten. Sie stellt den weit ausschreitenden Gott im Augenblick dar, als er mit der rechten den Donnerkeil schleudert, während die Linke den Adler hält. ER trägt den Chiton und um die Schultern die Chlamys. Rechts: der Torso eines Leierspielers, wahrscheinlich Apollo, auch um 500 v. Chr., Höhe 93 cm.

Das antike Theater von Salamis, eine kleine Stadt auf Zypern. Das berühmte Salamis der Schlacht der Spartaner gegen die Perser ist eine Insel. Nur hier gab es eine zweite Schlacht unter Kimon der erneut die Perser besiegte, die sich anschließend zum Frieden bereiterklärten. Rechts: Reste einer frühchristlichen Basilika. Berühmte Kunstwerke; eine der vielen Frühchristlichen Madonnen. Rechts die Bronzestatue von Septimus Severus im Nikosias Archäologischem Nationalmuseum. Und links eine Marienfigur mit segnenden Christus, christlich-byzantinisch.

Ob Oper von Verdi oder Schauspiel von Shakespeare: die Gestalt Othellos kommt aus diesem Palast in Famagusta. In venezianischer Zeit war diese Stadt Hauptstadt Zyperns. Ihr Reichtum beeindruckte jeden Reisenden. Ludolf von Suchen, ein deutscher Priester aus Westfalen, der von 1376-1341 auf Zypern lebte, nannte sie „die reichste aller Städte“. Nach seinen Beschreibungen waren die Juwelen im Haarschmuck einer Braut in Famagusta wertvoller als alle Edelsteine der Königin von Frankreich. Der Seehandel hatte die Stadt reich gemacht. Heute ist viel Phantasie nötig, um sich die einstige Pracht vorzustellen, indem Shakespeare das Eifersuchtsdrama zwischen Othello und Desdemona ansiedelte. Im Othelloturm rechts, einer Eckbastion der Stadtmauer am Hafen, soll Othello die unschuldige Desdemona umgebracht haben. Nicht Desdemona und Othello, sondern Venus und Merkur noch einmal Botticelli (um 1483). Venus überwacht den Schlaf des Kriegsgottes. Die Putten, kleine Teufel spielen mit den Waffen. Frieden herrscht im Lande.

„Europa ist unsere Herkunft und unsere Zukunft“, war in der Presse nach der Unterzeichnung der EU im April 2003 zu lesen. Stolz sind die griechischen Zyprioten auf ihre Geschichte. Sie fühlen sich als Teil und Nachfahren der altgriechischen Kultur, die als Grundlage für die heutige westliche Demokratie gilt. Jedoch wie war das 2004: Der Versuch der Vereinten Nationen, das Land friedlich zu vereinen, scheiterte nicht an den Türken, sondern an der griechischen Mehrheit. Die hatte zwar Jahrzehntelang den Traum vom vereinten Zypern gepredigt, verweigerte aber jetzt mehrheitlich dem Norden den Handschlag. So bleibt die Insel der Aphrodite ein zerrissenes Land, dessen südlicher Teil zur EU gehört und dessen Norden als „Türkische Republik Nordzypern“ einzig von der Türkei anerkannt wird.

Wie geht es nun weiter mit Europa? Zypern als Nahtstelle zwischen Europa, Afrika und dem nahen Osten? Rechts: Nach Mekka und Medina ist die Moschee Hala Sultan Tekkesi am Salzsee von Lamaka auf Zypern das drittwichtigste Heiligtum. Wie kann darüber hinaus eine künstlerische Aussage das heutige Zypern meinen, ohne die verzwickte Geschichte zu leugnen?

Theodoulos (Gregoriou) geb. 1956 in Nikosia. Studierte in Bukarest, arbeitet seit 1987 an der Ecole des Beaux Arts in Paris). Ein Dach für den Homo sapiens, heißt diese Videoinstallation. Ein transparenter Kubus (2 x2x2 m), transparente Spiegel Erd-Mineralien 2001 entstanden. Ein aufwendiger Metallkubus mit Videoprojektionen. Die Erd-Materialien verlassen ihre gegenständliche Substanz und erscheinen entmaterialisiert in spiegelnden Tiefen, Höhen und Weiten. Sie öffnen sich zu kosmischen Räumen und Körpern. Dimensionen zu sprengen, den Sog der optischen Täuschungen zu nutzen und den Besucher in seinen erweiterten Kosmos zu führen hat eine eingängige Magie.

Maria Loizidous (I958 geb. hat in Frankreich, Lyon Kunst studiert) hier ihre Arbeit“ Lets get lost“von 2001 arbeitet mit vorgefundenen Materialien wie Kleidungsstücken und Verpackungen aus Textilmaterial. Diese Verpackungen werden wie Säulen aufgereiht und aufgetürmt und erwecken unterschiedliche Assoziationen. Sie könnten Bündel für die Reise sein. Das Hab und Gut eines Einwanderers beinhalten. Tja, das wird auch assoziiert: Sie könnten eine rituelle eingewickelte Leiche oder einen gefesselten menschlichen Körper verbergen. Vielleicht ist aber der Gedanke an Schlummerrollen der realistische, Verschnürungen bündeln die Stoffberge. Es gibt viele Künstler- und Künstlerinnen die mit diesem weichen Stoffelementen Installationen errichten, die bekannteste ist Annette Messager (Biennale 2005 mit „Casino“ Rauminstallation in drei Räumen. Diesjährige Gewinnerin des Goldenen Löwen von Venedig).

Der tatsächliche Vertreter Zyperns auf der diesjährigen Biennale ist Panayiotis Michael (geb.1966 in Nikosia, lebt und arbeitet in Nikosia). Der Titel seiner Arbeit ist („Ich verspreche, Du wirst mich immer Lieben)“! Promise, You will Love me forever“. Dieses Versprechen versucht er durch eine raumgreifende Zeichnung einzulösen oder zu bewirken. Wände und Decken sind einbezogen, ein stürzendes verlängertes Beinpaar entwindet sich schiffsähnlichen Elementen und wandelt sich in Blattstrukturen, die aus ihm wie aus einem Schlauch unter Druck quellen und zu einem Buschwerk anwachsen. Aus Zypern stammt auch Konstantia Sofoleous, der in London lebt. Er verfasste Kindergedichte und Originalzeichnung: eine ist zu erkennen.

Nicht nur Zeichner gibt es auch Maler. Links Günay Güzelgün in Luoroudjina, Cypern geboren, in Ankara studiert überzeugt durch eine mutige, aber sichere Farbgebung. Sie spielt die Komplementärfarben gelb und blau auf dem Rummelplatz durch. Sie gehört zu den Künstlerinnen die Erfolg haben.

Rechts: eine Arbeit von Zenon Jepras, geboren in Wales Großbritannien (griechische Eltern aus Korfu und Zypern), lebt und arbeitet auf Zypern und in London. Der vorherrschende Bezug seiner Bilder scheint die Beziehung zu dem für Max Beckmann (1884-1950) charakterisierten Expressionismus zu sein. Wenn auch Jepras Bilder nicht die vielschichtige und hochsymbolische Struktur der Beckmannschen Bilder aufweisen, sie sind jedoch ähnlich theatralisch inszeniert. Aktuelle sozialpolitische Situationen und Erscheinungen, in zeitlose Gewänder gekleidet, deren Stoff aus dem Garn der griechischen Mythologie gewebt ist. Der Titel des Bildes: ,,New Bicycle“ von 1996, Öl auf Leinwand. Ein moderner Dädalus (Vater), Ikaros (Sohn). Nicht die Flügel, die sich an der Sonne auflösen verursachen den Sturz, sondern ein heutiges Fahrrad. Die blutende Wunde am Bein ist offensichtlich. Szenen aus scheinbar normaler menschlicher Interaktion, die plötzlich erstarrt, als hielten die Menschen inne, um zu posieren, verwandeln das Natürliche und Banale in etwas Künstliches Außergewöhnliches. Außerdem werden die Menschen mit einem Realismus behandelt, der schon an Karikatur grenzt. Was auch durch die Beschaffenheit der menschlichen Haut noch akzentuiert wird.

Europa verbindet. Ein, besser zwei Blicke nach Kork, der diesjährigen europäischen Kulturhauptstadt im Süden Irlands. Sie stellen im Cork Vision centre , einem Kirchenraum, einen Monat lang einen Künstler aus eines der zehn Neuen Länder aus. ,,Enlargement“( Vergrößerungen) heißt die Ausstellungsreihe. Wir hatten Zypern zur Ansicht. Im Hintergrund die Flagge, die Insel in Orange, darunter zwei grüne Zweige, die sich treffen, der Hintergrund weiß. Nun zur Installation. Sie ist von Andreas Savva. Eine Wand mit Schnüren zerschneidet den Raum. Zerbrochene Stühle und abgetragene Kleiderteile sind eingelegt. Sperrmüll scheint den Kirchenraum zu teilen und trennt auch die durch den Raum gehende Karte von Nikosia, dem Geburtsort von Savvas. Die eingewobenen Infos der menschlichen Kleidung und leeren Stuhlteile, sind Zeichen der abwesenden menschlichen Körpers, sind Hinweise, auf sich auflösende menschliche Existenz. Die letzten Reste werden im Netz zusammengehalten, sie haben keine Möglichkeit zu entkommen. Diese in die Falle gelockten Objekte schaffen eine konfliktreiche Wand, eine Referenz zu den vielen mentalen und realen Wänden, die zwischen Menschen, Kulturen und Gesellschaften existieren, so die Botschaft von Savva.

Es gibt ihn, den Künstler, der diese komplexen Verflechtungen, die Zypern in sich trägt eine künstlerische Vernetzungen zu geben. Sein Name ist Hussein Chalajan. Blick in seine Ausstellung links, Blick in eine Arbeit rechts. 1970 in Nikosia auf Zypern geboren, vertrat er in diesem Jahr nicht Zypern, sondern die Türkei auf der Biennale mit einer Videoinstallation. „Die abwesend Presence“: Wörtlich genommen. Ein Wortspiel.

Philosophie, Architektur, Kunst und Mode sind seine Bereiche, nur er vertritt als intellektueller Grenzgänger ein Dazwischen, arbeitet an den Trennungslinien und Überlappungen. Er ist berühmt für seine Inszenierungen, abseits von Konventionen, Vertrautes wird auf die Bühne( oder Hocker) gehoben und bekommt einen neuen Anstrich. Kein Modezar, als der nette Junge von nebenan in T-Shirt und Jeans, lebt er seit 1982 in London als Modemacher. Seine femininen Mode-Silhouetten sind Projektionsflächen von Themen, mit denen er sich auseinandersetzt: Identität, Geschichte, Heimat und Globalisierung. Er erklärt sogar, nicht wirklich an Mode interessiert zu sein.“

Die Inszenierung einer Ausstellung kann so beginnen: Kunstmuseum Wolfsburg zur Zeit. Vor in Rot-Weiß geteilter Leinwand, Weiß übermalt von unten das Rot. Dass Chalayan so leichthin die verschiedenen Grenzen überschreitet, ist nicht zuletzt auf seine persönliche Biografie zurückzuführen. So hat er als Kind in Nikosia selbst miterlebt, wie Zypern 1974 zwischen den griechischen und türkischen Bewohnern gewaltsam aufgeteilt wurde. Über das Leben in einem geteilten Land hat Chalayan gesagt: „Man lebt in einem Mysterium, weil man nicht weiß, was auf der anderen Seite vor sich geht.“ Der schmalen edlen Silhouette in Schwarz mit auftürmender Kopfbedeckung steht rechts der Blick in die rotaufbauschende Blumenform auf einem Rock – ganz in Tüll gegenüber. Dem Federkleid eines Schwanes nah, ist dieses figurbetonte Cocktailkleid einem fein gefiederten Panzer nicht unähnlich, es geht mit der Trägerin, nicht umgekehrt. Das Schaumgeborene der Aphrodite oder die Muschel, die den Körper trägt aus der Modereihe ,,Before minus now“, Collektion Frühling/ Sommer von 2000 .. Links Foto aus einem Modedefilee, rechts Foto aus der Wolfsburger-Ausstellung. Ein Ewigkeitskleid des sterbenden Schwans. Mode, wie wir sehen werden, ist für Chalaj an das Medium indem er seinen poetischen Weltentwurf realisiert.

Auch aus dieser Collektion: Lady in RED, mehr kurios, aber doch ernst gemeint. Einmal mit und einmal ohne Luft unterm Rock. Nicht der Luftzug der Untergrundbahn, wie bei Marilyn Monroes Epoche-Foto, hebt den Rock, sondern ein Elemente der Luftfahrttechnik bringt die Bewegung ins Modellkleid. Mobilität wird dem modischen Menschen, der dem Veränderlichen, dem Wechsel, dem Unterwegssein sich verpflichtet fühlt, durch tatsächliches Aufschwingen der Kleidung, beigemischt. Technische Apparate, schaffen einen neuen Typus einer kinetisch offenen Persönlichkeit.

Gruppenbild: zerstörerisch. Anfang, Neubeginn, durch Zertrümmern des Gegebenen.“Ventriloquy“ von 2001 (Spring/Summer). Schmerz, Wunden und Neuinkarnation sind hier Themen, die ihn interessieren. Die Modeschau wurde in einem Studio gezeigt, wo Alfred Hitchcock Szenen gedreht hatte. Auch Chalayan zeigt zunächst Animation Filme: wo ähnliches Virtuelle Figuren vorführen, was die realen Mannequins wie ein Theater ohne Worte nachspielen. Das ganze kam in einem Bühnenraum mit perspektivischen schwarzen ausstrahlenden Linien zur Aufführung. Dabei kam dem Strahlen die Funktion zu, den architektonischen Raum in dem Video optisch nachhallen zu lassen. In dem Video schlagen die gepixelten Figuren gnadenlos aufeinander ein, bevor sie in tausend Stücke zerspringen. Auf dem Höhepunkt der Realpräsentation ziehen drei der sechs Models einen Hammer aus der Tasche und zerklopfen die Kleider der Nachbarin. Die Kleider sind aus Zuckerglas.

Links ein tragbares Modell fürs Modegeschäft, das Ambiente der Strahlen, des Hintergrundes, ist erkennbar. Und rechts eine Ausstellungssituation, der Hintergrund, ein Videofilm als Animation und davor eine Schaufensterpuppe die ein Modelkleid trägt. Chalajan hat einen breiten Fächer der Präsentation: Video, reale Situation und Ausstellungsebene. Das Flugzeugkleid (1999) Sommer/Winter. Echoform. Hier sind Elemente der Luftfahrttechnik integriert. Das heißt, er verwendet ein Material aus Fiberglas und Kunstharz, das er in selbst entwickelten Gussformen gießen lässt. Die vorgeformten Einzelteile des Entwurfs werden mit Chromklemmen, wie sie im Autobau üblich sind, verbunden. Auf der linken Schulter ist so eine Klemme zu sehen. In der Konstruktion waren, zur Vorführung, von außen unsichtbar: eine Batterie, ein Getriebe und Räder integriert, die sich von dem Modell auf dem Laufsteg durch innen liegende Schalter aktivieren ließen. Auf diese Weise war es möglich, einzelne Teile der Kleid-konstruktion vertikal in Bewegung zu setzen oder wie die mobilen Teile eines Flugzeugs aufzuklappen. Siehe an der rechten Schulter. Er lässt auch Kleider durch Femsteuerung sich wandeln. Aber auch Eindrücke der zyprischen Heimat, wie hier die Felsenformation Zypems oder der strenge Faltenfluß antiker Gewänder wie wir sie an den Statuen sahen, spielen mit.

Wie begann alles? Nicht in den Lüften, sondern sehr erdig: Chalayan hat 1993 am Central Saint Martins College of Art and Design in London sein Diplom erworben. Als Abschlussarbeit präsentierte er seine Kreation „The Tangent Flowers“- eine Kollektion, die er zuvor mit abgefeilten Eisenspänen überzogen und sechs Wochen im Garten eines Freundes vergraben hatte. Die Kollektion wurde sofort von dem Londoner Modehaus Brown aufgekauft und er war als innovationsfreudiger Modedesigner etabliert. Hier-links- in einem Spiegelkabinett ist ein Kleid der Serie ausgestellt. Es spiegelt sich in unendliche Tiefen und ist von allen Seiten zu sehen. Foto aus der Ausstellung. Rechts am Körper: Erde als zweite Haut. In dieser Zeit entwirft er auch diese Kreationen. links eine Weste, rechts aus Stoff und festem Papier. Ein Krückstock hält die Rockform zum Dreieck. Mehr den Bedingungen des Sherwood Forest entnommen zeichnen sich seine Kleider durch hohe haptische Qualitäten aus. Kleidung, die vorzeigbar schön ist, nicht unbedingt für das Einkaufen im Supermarkt von Nutzen.

Die Tragbarkeit der von ihm entworfenen Kleider – die luxuriösen, stets hochwertigen Materialien, die komplizierten, aber auch einfachen Schnitte und die raffinierten Details, die für den Markt bestimmt sind, sind oft völlig frei von Schnickschnack. Ein Beispiel: Hosenanzug links, für kalte Tage, schlichte figurbetonte Mode. Sie bestechen durch eine auffallende Ruhe, Zurückhaltung und Strenge, bisweilen auch durch ihre Nachdenklichkeit oder den nach innen gerichteten Blick. Wohl würdig auch für unsere Kanzlerin, aber sie schafft es auch ohne Modevorschläge. Arbeiten des Philosophenkönigs auf dem Modethron der Kunst. Trotz metaphysischer Überlegungen erscheinen sie leicht und unbeschwert. Die ganze Arbeit ist in ihnen oder hinter ihnen verschwunden und wie ein vom Designer selbst komponierter Code einprogrammiert. Mode für das junge Europa. Leicht und in luxuriösen Materialien. Sie gehören zur Kollektion Blindscape (Frühling/Sommer 2005). Frage: Was passiert, wenn man blind ist. Für jemanden der es nicht ist, ist diese Vorstellung schwer. Der einzige Augenblick wo die Welt für Blinde und Sehende sich überlappt ist, wo sie sich selbst dem Schlaf oder Traum hingeben.

So eine Hingabe zeigen Modepuppen in diesen Kleidern beim Gießen von Ölbäumen. Ein Grenzüberschreiten von Mode und Kunst, Leben und Traum. Die Augen, die Inszenierung des Blickes über einen schwarzen Fächer, Vermummung in Rot. Das Sehen und Blicken, die Ur-oder die erste Aktivität die Kunst auslöst für den Schöpfer und auch für den Genießer ist für Chalajan ein höchst differenzierter Gang über Mode und Kunst. Kopfbedeckungen, Verdeckungen; Umrahmungen, Bild und Skulptur. Sie gehören zu den Arbeiten „Between“ spring/summer 1998. Einmal versteckt und einmal das Gesicht hervorgehoben. Ein quadratischer Spiegel umgibt das Gesicht, so dass das Gegenüber, der Beobachter auch sich selbst im Spiegel sieht, aus dem Voyeuristischen wird ein Austausch: eine Gegenseitigkeit.

Auch diese Gruppen gehören zur Arbeit „Dazwischen“. Es geht ihm um die Erkundung geographischer und kultureller unterschiedlicher Länder, dies in Relation zum menschliche Körper. Zunächst grenzen die Mädchen sich einen bestimmte Bereich der Erde am Strand aus. Sie sind nackt und ziehen Linien. Ein Territorium grenzt am anderen. In der Modenschau haben sie dann einfache Umhänge in weiß mit kleinen Ausblicken für die Augen, dies erinnert an den arabischen Chaddor, irakisch Abbaije. Rechts dann gekürzt in Schwarz, das nackte Mädchen trägt eine Maske. Ab und zu Bemalung. Chalayan geht es um das Aufzeigen der verschiedenen kulturellen Codes und ihrer ernstzunehmenden Standards.

Multikulti Begegnungen in Mode in Reihe durchgespielt. Es beginnt mit dem kleinem Schwarzen, ein schlichtes hochgeschlossenes edles Teil. ,,Ambimorhous“ Herbst/ Winter 2002. Es verändert sich Schritt nach Schritt, von einem Modell zum Anderen hin zu einem farbenprächtigen traditionellem türkischen Folklore Kostüm im Mittelpunkt um dann wieder Schwarz aufzunehmen, nicht wiederholend, sondern in neuen Kombinationen bis hin zum sommerlichen Hemd mit dekorativen Schüren. Jede Mischform hat ihren Reiz. Integration besonderer Art. Insofern offenbaren seine Kleider wie seine Installationen keinen Stil, sondern eine Haltung, den Traum einer Versöhnung von local und global, von Asien und Europa.

Diese beiden Bilder sind Ausdruck für das Migrantenleben, für die Erfahrung der Ortslosigkeit und der Entwurzelung. Bei der Vorbereitung der „Afterwards“ Kollektion begann er den Schneider durch einen Tischler zu ersetzen. Oder er machte Innentaschen, deren Form exakt ihren künftigen Inhalt verriet. Er wollte Mode wie eine Art portable Architektur verstanden wissen. Bei der Präsentation der Kollektion ging es um das Reisen, um die Notwendigkeit, das eigene Heim in Zeiten des Krieges aufzugeben und sämtliche Habseligkeiten mitzunehmen. In der Eröffnungsszene schlurften fünf Personen, offensichtlich eine Familie, die im Weggehen ihre Kittel in Umhänge verwandelten. Hier werden Möbel-Schonbezüge in tragbare Kleider umgewandelt und angezogen und die Möbel dann in tragbares Hab und Gut in Koffer geklappt. Rechts steigt das Modell in die Mitte des Tischs und zieht ihn als Rock an, dies nach dem Prinzip der zusammenklappbaren Becher fürs Wandern. Unterstrichen wird die Trostlosigkeit durch sehr harte bulgarische Gesänge, die das Geschehen begleiten. Kein Lobgesang auf die unendliche Flexibilität des heutigen Menschen.

Das in Chalayans Schaffen immer wieder angesprochene Thema des Unterwegsseins bezeichnet sowohl buchstäblich als auch bildlich einen Erfahrung, die nicht nur mit dem Gefühl der Entfremdung und des Verlustes, sondern auch mit dem Prozess der Selbstentdeckung und- formung zu tun hat.“ Kinship Journeys“ von 2003 (Herbst/Winter) Kissen als ausladenden Schutzvorrichtung den aufgeblasenen Schiffsballons ähnlich: zusammengeklappt und ausgefahren. Im Hintergrund kein Sarg, sondern ein geschlossenes Boot als Element der Rettung, aber auch steht es für Tod. Schotten Karomuster und ein strenger grauer Minimalismus bauen sich gegenseitig auf und ab.

Aus Geotropics 1999. Das Möbel Stuhl zu Kunstharzpendants geformt als Kleid.“ Wir leben in einem Zustand permanenter Mobilität – einer Situation, die möglicherweise sogar unsere Erinnerungen beeinflusst, unser Gefühl der Verbundenheit mit den häuslichen Dingen. Doch wie könnten neue Komfortzonen unter solchen Bedingungen beschaffen sein? Weißt du“, schreibt Chalajan, „vielleicht geht es vor allem darum, dass wir uns Zufluchtsoptionen verschaffen, egal, wo wir gerade sind. Zugegeben: ein ziemlich abstrakter Gedanke, etwa so wie wenn man über Einsamkeit meditiert oder über Nostalgie oder darüber, wie unsere Erinnerung funktioniert oder wie wir uns einen Platz in einer Höhle schaffen und solche Dinge.“ Zitatende.

„Solch Ding „fährt auch in seinem Film „Place to Passage“ (2003) . Eine androgyne Frau tritt, in einem merkwürdigen Fahrzeug, einer Kreuzung aus Auto, Flugzeug und platonischer Idee, eine Reise an. Die Unternehmung beginnt in einer Tiefgarage, geht über Eismeere, Einöden, Provinzstädte von London nach Istanbul. Die mit leichten Gepäck Reisende isst und schläft, erinnert an ein Puppe auch und erscheint zwischenzeitlich wie tot. Sie rast in nahtloser Symbiose mit ihrem Gefährt dahin, daher aber zielgerichtet. Das Autowesen erinnert an eine empfindliche Membran, an einen Schutz bietenden Kokon, auch Embryo oder zweite Haut. Zitat Ballards: ,,dass die Natur uns eine Haut zu wenig mitgegeben hat und dass ein vollentwickeltes fühlendes Wesen sein Nervensystem außen tragen sollte.“ Es gilt die Vorstellungen von Komfort, Vertrautheit und Nostalgie neu zu definieren. Es wirkt hygienische und anti­nostalgisch. Seine Insassin trägt ihren Kokon wie eine Schale. Tatsächlich vermittelt das Vehikel der Ortslosigkeit, in ein Niemandsland versetzt, uns aller kulturellen und historischen Bindungen enthoben, das heißt als reinster Ausdruck eines Zwischenzustands. Allen utopischen Fantasien der Selbstgenügsamkeit steht jedoch der nostalgische Wunsch nach einer Heimat entgegen, selbst wenn die Heimat lediglich imaginiert, vorgestellt, ist. Und jetzt folge ich Caroline Evans in ihren Interpretationen „Niemandsland „über Chalajan .. über die imaginierte – vorgestellte Heimat sagt sie „weil wir es hier mit einer nur vorgestellten Heimat zu tun haben, können wir dorthin nicht zurückkehren“. Du kannst nicht heimkehren. Warum? Weil du schon zu Hause bist. ….. wir haben es hier also nicht mit le Corbusiers Konzept der rationalen „Wohnmaschine“ der Zukunft zu tun (dem in Serienprodukten hergestellten gesunden und schönen Haus) sondern mit der Idee „des Hauses eines Objektes des Erinnerns einer Metapher des Heimwehs“ schlechthin. Indem Chalajan Begriffe wie Häuslichkeit, Zuflucht und Höhle zusammen spannt in dieser Arbeit geht es weiter auf Haus, Magen und Höhlein den Interpretationen. Natürlich folgt dann der Mutterschoß und Sigmund Freud „Lieb ist Heimweh“, hier machen ich im erweiterten Europa erst mal Stop.

Bleiben wir am Realen der Kunst der erweiterten Kunst Europas, bleiben wir bei Chalajans Arbeiten. Wiederum eine Raum-Inszenierung des Transitorischen: aus filmischen, klanglichen, stofflichen (hier ist nicht nur der Kleiderstoff, auch die Tapete miteinbezogen) und skulpturalen Elementen (hier als Schaufensterpuppe mit Spiegel, die nicht nur sich sondern auch den Film und den Betrachter miteinbezieht. Im Film das leben auf dem Flughafen, man sich häuslich mit Tisch und Stühlen – hier auf der Unterwegsstation – eingerichtet. Vertraute Situationen werden durchgespielt, aber in neuen Variationen. Das kleine Schwarze, der Flugzeugkörper. In Hawaii-Manier bedruckte üppig aufbauschende Stoffe als Kleider und gespannt auf der Wand.

Wir blicken jetzt links auf den Stoff und rechts ein weiteres Bild aus dem Film: Nicht Eindrücke von Hawaii, sondern aus dem Alltag (Hochhäuser, Stadtsilhouetten Stadtansichten z. B. Nikosia, hier versetzt er die Stadt ans Meer), Hirtenidyllen Kämpfe zwischen weiß Gewandeten und rot Gerüsteten aus der langjährigen Geschichte des Kampfes um Zypern nicht nur zwischen Griechen und Türken, hier sind es Osmanen und Venezianer, die um die Insel kämpfen. Bei der Vorbereitung zur Kollektion dieser Stoffmuster hat sich Chalajan einen Experten für genetische Anthropologie befragt, sich selbst einem Gentest unterzogen und sich überdies mit den für die verschiedenen zypriotischen Bevölkerungsgruppen typischen genetischen Mustern befasst Rechts das Ende einer Episoden aus dem Film. Eine alte Amphora zerbricht in tausend kleine Scherben, aus den Scherben legt der männliche Part im Film den Grundriss der Insel Zypern zusammen. Grundlage ist der Betonboden- die Landebahn- auf dem Flugplatz. Diese Arbeit heißt Temporal Meditaions 2004 (Spring/summer).

Zwei Kleider als Kleiderträume der Versöhnung: des kleinen Schwarzen mit der geschichtsträchtigen, folkloristischen Farbpracht; Aussöhnung Griechenlands mit der Türkei, Solidarität am Körper zur Schau getragen. Er verwendet für die Stoffe Szenen aus der Türkischen Geschichte um 1920, die Zeit in der sich die Republik gründete und sich ein nationales Bewusstsein entwickelte. Die Schärpe/Tücher gehen auf traditionelle türkische Kostüme zurück. Als überlebende einer Bombenexplosion erscheinen die Modells in zerlumpten, zerrissenen Outfit auf der Bühne. Diese Kleider sind durch den Voodookult inspiriert, wobei eine große mythische Figur als Oberhexe fungiert. Es ist die Gestalt der Medea die ihre magische Kraft ausübt. Ein Feuerwerk an Einfallen aus Second-hand Entdeckungen, kombiniert mit den illustersten Stofffetzen, die sein Atelier hergibt auch Zutaten von einst begrabenen Kleidungsstücken. Die historischen Kleiderpfade bis zur Archäologie vorgewagt. In den aus dieser Vorgehensweise resultierenden zerfetzten und dekonstruierten Kleidern waren Versionen früherer Chalajan-Kollektionen enthalten, die aussahen, als ob die Zeit sie verschlissen und zerstört habe.

Herbst/Winter Kollektion Panoramic 1998. Noch einmal der Philosoph Chalajan als Modeschöpfer. Ludwig Wittgenstein zitierend: ,,worüber man nicht sprechen kann, darüber sollten wir schweigen“ („Whereof we cannot speak, thereof we must be silent“), damit beginnt diese Modeschau. Er versucht die Ralität zu zeigen, was Religion und Technologie nur einseitig können, auch sprachen haben Grenzen. Als wichtigste Element für das Vorzeigen der Realität dienen ihm Spiegel am Boden und im Raum. Die Models verschwinden und tauchen wieder auf Das ist nur eine Metapher aus der Inszenierung. Aber doch aussagt, das ein spekulatives, kritisches Design immer neue Abschiede verlangt, was den Praktiker dazu zwingt die Welt ständig neu zu erfinden. So wird der Status der Migration tatsächlich eine Metapher für die Situation des modernen Modedesign. Sie oder er greift auf, was sich gerade anbietet – Geschichte, Zeit Sprache, Philosophie – und lässt sich davon inspirieren. Anders als der Reisende, der irgendwann wieder nach Hause kommt, heimkehrt, ist der Migrant unterwegs und „darauf verwiesen sich in der Sprache, in geschichtlichen Erinnerungen, in Identitäten einzurichten, die einer ständigen Veränderung unterworfen sind“ (Ian Chambers hat darüber nachgedacht: „Migrancy, culture , identity“, London 1994, S.5). Chalajan hat eine mögliche Sprache gefunden mit der er sich auf seine Erkundungsreisen begibt.

Das Kleid, das rote Kleid aus „Manifest Destiny „2003 spring/summer. Die historische Schichtung im Globalen, Localen und Persönlichen an der zweiten Haut des Kleides virtuell und real festgemacht. Chalajan sagt: ,,Das Kleid ist ein Geist der diversen Leben, die es womöglich bereits hinter sich hat. Nichts ist glänzend und neu, alles hat einen Geschichte. Wenn man ein Kleid aus den sechziger Jahren wegnimmt, erscheint dahinter unversehens seine Vergangenheit als mittelalterliches Gewand. Unter einem viktorianischem Korsett ist eine moderne Jersey-Weste verborgen. Hinter einem Kleid aus den dreißiger Jahren tritt seine edwardianische Vergangenheit zutage. Der Entwurf ist ein Wunsch oder ein Fluch, der das Gewand und seine Träger in eine Art Zeitkrümmung verschiedene historische Perioden durchleben lässt – einem Sturz durch die Schichten archäologischer Grabung vergleichbar.“

Nur ein Spiel. Welche Richtung der Mitspieler auch immer nimmt, das Ergebnis ist, dass er von einer großen Höhe springen muss, um das Göttliche zu erreichen. Chalajan hat verschiedene Lösungen von der chaotischen kopflosen Endlösung bis zur fragend fröhlichen Vision aufgezeigt, hier nun die sanfteste Landung mit Luftballons im Zeitungskleid: News als Verpackung, als zweite Haut, als Kleid. So verpackt – das letzte Bild der Dias über Europa über die erweiterte Kunst Europas.

MEHR EUROPA WAGEN!

Feiern wir mit unserem heutigen Geburtstagskind Nikolaus, dem Bischof aus Myra (Lykien im SW der Türkei) diesen Tag, die kleinen Europa-Sterne mögen munden.

Vielen Dank für die Begleitung durch die erweiterte Kunst Europas.

Roswitha Siewert