Mareile Schröder

Mareile Schröder

Landesschaukunstpreisträgerin 2010

Geteilte Einblicke

Ihr aber seht und sagt – Warum – Aber ich träume und sage – Warum nicht

Ausstellungskatalog 2001 – 2011

Herausgeber: Bundesverband bildender Künstler LV Schleswig-Hostein – ISBN 978-930563-61-6

Forum für den Triumph des Einfachen

Einführung von Roswitha Siewert

Eine quadratische Fläche aus lichtdurchlässigen Zellglas-Elementen wird durch die orangeroten Farbsignale der Plexiglasscheiben in innere Dynamik gesetzt. Klar erhebt sich die Bodeninstallation mit einer Höhe von 10 cm vom Fußboden ab und weitet sich auf eine quadratische Breite von 420 cm. Dem Ausstellungsraum aus Wänden, Decke, Boden und Fenster wird ein Teppich aus Kunst zugrunde gelegt.

Das gestaltende Grundelement ist ein geformter „Ziegel“ aus Zellglas; vertrauter ist die Bezeichnung Cello­phan. Das Ausgangsmaterial ist industriell gefertigte Ware als Behälter zum Aufbewahren. Sie sind als mögliche Verpackungen für den Gebrauch da. Die Bearbeitung der einzelnen Tüten verändert sie. Durch die Verformung und das Ineinanderschieben von zwei Tüten entsteht eine neue Form. Der Ziegel aus Zell­glas wird zum Baustein der Installation. Er ist die Keimzelle für Expeditionen in unbekannte und immer wieder neu zu entdeckende Bereiche der sinnlichen Wahrnehmung.

Aus glänzendem, durchscheinenden Material sind sie aufgespannte Kunsthäute mit luftigem Innenleben, die im überlegten seriellen Aufbau aufeinanderstoßen und Farb­verdichtungen von neblig-diffusen bis gläsern-eisigem Weiß ergeben. Die Transparenz spielt mit der Oberflächenferne und -nähe. Sie öffnet ins Nichts oder liefert Räume für ungesehene und ungeschehene Dinge. Das Material ver­mittelt eine Erstarrung von Flüssigem, von Luft oder auch Licht. Aggregatzustände kommen in Turbulenzen. Einzig das Licht, das eingefangen von Außen oder bewahrt im Inneren ist, hat seinen Raum. Eis, Glanz und Glas scheinen sich im Lichtort des Innenraums aufzulösen. Sie haben et­was vom Nichts, bilden einen Nichtort und geben diesem Material für leere. Trotzdem blüht und strahlt die Boden­arbeit. Leicht, volumenreich, glitzernd, festlich und schrill kehrt sie den Schein eines barocken Kristall-Leuchters

von der Zimmerdecke auf den Fußboden um und breitet ihn einfach zur ästhetischen Schönheit im Quadrat aus. Das durchscheinende und lichtdurchlässige Bodenobjekt wirkt in den Raum und konzentriert die Weitschweifigkeit der Umgebung wiederum auf dem Boden der künstlerischen Tatsache. Sinnliche Stoppschilder sind die in Rot fluores­zierenden Flächen aus Plexiglas. Sie wirken intuitiv wie hineingestellt in die geometrisch rationale Systematik der Ziegelgliederung. Die Markierungen der intensiv leuchten­den Linien auf der Oberfläche mit ihrem verfließenden Schein im Inneren des Bodenobjektes scheinen die obere Bildfläche ordnen zu wollen, bleiben aber offen in der Zu­ordnung. Die Leichtigkeit, das Fragile, das Leuchten aus sich selbst heraus nimmt alle Schwere. Dadurch, dass dem leichten Substanz aus Licht und Farbe gewährt ist, existiert es; es wird wahrnehmbar, sinnlich erfahrbar.

Die Auslegung zum Quadrat kommt einer ornamentalen Abstraktion nahe. Das Rhythmisch-Ornamentale spiegelt sich in glitzernden Bruchstücken, die einen Halt in der Einheit der Fläche bilden. In ihrer Begrenzung wird auch Zeit auf eine gewisse Dauer reduziert. Die Herstellung der Ziegel, die Legung als Installation und die Setzung der Farb-Events haben eine Zeitdauer, die einem meditativen Prozess gleicht. Es ist eine offensichtliche, schöpferische Auseinandersetzung, die eine transzendente, den gewöhn­lichen Sinnen unsichtbare Wirklichkeit fassbar macht. Auf der anderen Seite ist es aber auch ein abgewogener sach­kundiger Prozess, mit einem Gefühl für Maß und Vernunft. Über Meditation und Aktion werden seelisch-geistige Gesetzmäßigkeiten visualisiert. „Nichts ist so, wie es scheint, und nichts ist von Dauer“, ist Mareile Schröders Kunstthese, ihre Interpretation des uralten Vanitas-Gedankens. Nichts ist sicher, alles ist vergänglich. Im Aufriss werden Materialien wie Cellophan und Plexiglas zu Spuren und Symbolen für durchlittene Seinsmomente. Auch – oder gerade – wenn sie schrill, verführerisch und wie mit schar­fen Klingen fluoreszierend als Linie in der Fläche aufleuch­ten. Dieser unerbittlichen Schärfe des Erinnerns gegen­über breitet sich im liegenden Quadrat, der Ikone des geo­metrischen Gestaltens, ein aufgehobenes Vergessen im Ewigen aus.

Kunst scheint zur Ruhe gebracht. Streng geordnet und statisch fixiert erscheint sie dem Betrachter. Wie kommt Bewegung erneut ins Gedankenspiel? Das Sehen ist auf­gerufen, den Appell der Augen auf Veränderung ernstzu­nehmen und weiterzuleiten. Nach welchen Kunstregeln läuft das Spiel ab? Entwickeln sich Erkenntnisse chrono­logisch, kreisen sie um ein Zentrum, durchschneiden sie diagonal wachsende Spiralen und Kreise, bringen sie Faltungen zum Stoppen oder ergeben sich Spielregeln aus Erleuchtungen, dass das Licht wichtiger ist als die Glüh­birne? Könnte der irrlichternde Schein der CD ROM span­nender als ihr Ton sein? Ist es so einfach? Wie gesagt und überschrieben, wir blicken auf eine variierte Mehrzahl des „Forums für den Triumph des Einfachen“.

Temporär umgestaltet auf den Raum hin und in Material­auswahl, erscheint das „Forum“ 2001 in Bonn, 2003 in Schloss Senderborg und 2005 im Museum Modern Art in Hünfeld, hier jeweils ohne die schrillen Leuchtfeuer-Elemente des fluoreszierenden Plexiglases. Die Bausteine aus purem Cellophan in alternierende Reihungen gelegt, geben sich den Lichtbrechungen aus Transparenz und Verschmelzung ganz hin. 2008 wird die Bodeninstallation von Aschaffenburg (2005) noch einmal im Kunsthaus Hamburg mit dem Titel „unterschwellig“ als Auslegung variiert.

Exkurs: Zu einem bewegten Forum im halböffentlichen Raum gestalten sich drei Installationen für die Deutsche Bundesbank in Magdeburg. 2001 bereits realisiert, verei­nen sich Plexiglas-Elemente, Zellglasbausteine, Draht­seile und Dreiecke aus Stahl zu einem Zusammenspiel aus Architektur und Kunst am Bau.

Werden aber 30 fluoreszierende Plexiglas-Elemente zu einer Geraden – einer primary structure – hintereinander gestellt (o.T., 2006), so dass jedes Element einzeln seinen Raum hat, aber in der Linienführung ein Ganzes bildet, dann scheint Farbe nicht nur zu leuchten, sondern zu bren­nen. Zu erleben war die Arbeit im Internationalen Jahr der Mathematik (2008) innerhalb der Ausstellung „Die Ratio­nale II“ im Frauenmuseum in Bonn. Ein einfaches Einzel­element: zwei fast quadratische Flächen (30,5 x 41,5 cm) werden zum gleichschenkligen Dreieck – offen zum Boden, zugespitzt in der Höhe – aufgestellt. Ganz geometrische Form signalisieren sie assoziativ architektonische Dach­strukturen, Symbole für gefaltete Hände oder in der Un­erbittlichkeit der fußenden Ecken zum Bewegungsablauf eines Tausendfüßlers. Immer wieder überraschend neu kann diese Aufstellung sein, ob sie nun im historischen Ambiente eines Lübecker Altstadthauses (Lübeck, König­straße 81 zur Museumsnacht 2010) ihre rote Bahn auf Gotlandsteinen in 8 m Länge zieht, überhöht durch eine rote Linie im Türbogen oder die Fußbodenspiegelungen zu einem Zackenaufmarsch (2005) in „Vienna Kongress Centrum“, die Kunstmotive setzt. Hier feiert die konstruk­tive, konkrete Kunst.

Ein Material, das mit den bereits bekannten Elemen­ten zum Auswechselspiel herausfordert, sind graue Kar­tons, die zu mannigfaltigen Bodeninstallationen führen.

In der Ursprungsfassung werden Deckel- und Bodenele­ment eines Kartons zu unregelmäßig ineinandergreifende Schachteln gesteckt (meist 42 Kartons, Größe der Arbeit: 210 x 210 x 42 cm) und auf den Boden zum Quadrat ausgelegt, was wie ein Aufreißen des Fußbodens wirkt, eine Erschütterung der Grundfesten. Werden dagegen die unregelmäßigen Oberflächen der einzelnen Kartons mit 42 fluoreszierenden Plexiglasplatten belegt, leuchtet ein städtebaulicher Eindruck als Dachlandschaft entgegen (Urban 1, 2003). Senkrecht aufgestellt, eine andere Vari­ation, assoziiert sich eine Häuserreihung als Skyline (Urban II, 2003).

In „horizontal-vertikal-diagonal – zwei Schnitte/zwei Linien“ (2006) erscheinen Licht und Schatten als Zeich­nung auf Pappuntergrund, nehmen moderne Fensterfassa­den auf und erinnern an Industriefertigungen von Flug­zeugteilen.

Eine Arbeit, einzig aus 50 fluoreszierenden Plexiglas­platten, zieht sich zum „Labyrinth“ (2003) zusammen und wird meditatives Ornament im Raum. Dagegen kämpfen weiße Holzquadrate mit roten Plexiglas-Rechtecken, die sich in die quadratischen inneren Öffnungen drängen, um eigene Standfestigkeit buhlen, zum Ausgleich hin: ein tänzerisches Austaxieren. Diese Arbeit heißt „Balance“ (2007), zwei unterschiedliche Materialien in variationsreichen Positionen versuchen gemeinsam einen Standort zu finden.

Zum Spiel mit Formen, Farben und zwei unterschiedli­chen Materialien wie Holz und grün/rot, auch blau fluores­zierendem Plexiglas fordert die Arbeit „Linie-Dreieck­Kreis-Quadrat“ (2008) geradezu zum Mitspielen auf.

Ganz anders hält die Bodeninstallation aus grauer Well­pappe „Polymorph – von der Fläche in den Raum-„, die in drei Variationen durchgespielt ist, auf Distanz. Auch wenn sie dem Rhythmus von Aneinanderreihen, Ordnen, Gruppierungen und Gegenüberstellungen der in Rot fluoreszierenden Arbeiten zu folgen scheint, ist sie von ernsthafterer Eleganz in hellem Grau, mehr der Asche als dem Licht zugehörig.

,,Rot trifft Grün oder Grün trifft Rot“ (2009): Variation a – zwei fluoreszierende Farben sind in ihren Flächen zur Buch­form aufgeschlagen, der Buchrücken ist zur Kante zuge­spitzt: Eine Eisenstange ist durch die gebohrten Öffnungen geschoben, hält beide Flächen und sich selbst. In Varia­tion b spannt sich der Dialog der beiden komplementären Flächen auf Distanz. Als Raumobjekt c beziehen beide Farben durch Licht und Spiegelungen, Transparenzen und Verschmelzungen, auch das Außen mit ein. Neben all den Lichtspielen auf Flächen und Rändern bleibt die Eisen­stange wie ein Nagel als Wundmal.

Noch deutlicher wird die Widersprüchlichkeit von Verletzen und Heilen in „Circle“ (2003). Mareile Schröder spricht von „positiver Dialektik“. Wie vermittelt sich in der künstlerischen Umsetzung so ein Maxim der geistigen Weltsprache? Eine Kreisform wird in der einen Hälfte aus schwarz gefärbten, handgeformten Blättern aus Trans­parentpapier gefüllt, und die andere Hälfte symmetrisch dazu mit weißen, ungefärbten, auch handgeformten Blät­tern. Zwischen beiden Hälften ist eine rote Linie aus 9 rot fluoreszierenden Plexiglasscheiben. Diese Linie verbin­det und trennt beide Bereiche. Mareile Schröder nennt sie zwei Daseinsformen und deren Energie, die aus der Wech­selwirkung entstehen. Die Assoziationen sind einmal „Schwarze Kohle, Verletzen, Trauer“ und dann aber auch ,,Helligkeit, Heilen, Freude.“

Vertraute Alltagsdinge: Kupferdraht und Faden können Wand, Boden, Flächen, Raum in neue und überraschende Dimensionen verändern und erweitern. Da gibt es Wand­zeichen, die jeweils aus 1 m Kupferdraht verformt sind, die wie neugierige Wesen bzw. Unwesen die Wände reihen­weise bevölkern. Eine witzig künstlerische Art von Steno­graphie. Sie wirkt kalligraphisch, hat eine behände Beweg­lichkeit und Munterkeit, die wie im Film abläuft: ,,Nota­tion“ (2007, 2008).

Leicht gewellter Draht in Reihungen, wenn dann noch eine Steckdose diese Wand beherbergt, bietet sich ganz selbstverständlich der Titel „Strom“ (2009) an. Fadenspannungen zwischen Zerreißprobe und Weg­findung im Labyrinth der Kunst? Beginnt der Acrylfaden zu leuchten, verbreitet sich nicht nur poesievolle Romantik, das Strahlen wird Zeichen einer lingua sacra. Einfache Materialien mit erleuchtenden Reserven sind Verkündigun­gen von überzeitlichen, fast religiösen Werten und Formen.

2007, 2009, 2010 entstehen Arbeiten mit klaren und auch farbigen Glaskugeln auf Spiegeln. Es gibt einen „Perlenteppich für H.“ (2010) und das „Glasperlenspiel“ 1 (2007) und II (2009). Wer hat Angst vor H.? . . . Hermann Hesse schreibt in seinem Roman „Glasperlenspiel“ (1943), S. 125: ,, . . . Glasperlenspiel erfunden und ausgebaut als eine Universalsprache und Methode, um alle geistigen und künstlerischen Werte und Begriffe auszudrücken und auf ein gemeinsames Maß zu bringen . . . „. Nur mit H. ist nicht Hermann Hesse gemeint, sondern ganz einfach der Geburtstag der Schwester der Künstlerin, deren Name mit H. beginnt.

Fragen wir noch einmal nach: Wer hat Angst vor Her­mann Hesse? Wie und wo finden wir das gemeinsame Maß, das Einfaches und Universales aufhebt und verbindet? Folgen wir Hermann Hesse: NUN KOMMST DU UND WILLST NACHPRÜFEN, OB DAS STIMMT!

Kunst ist der Prüfstand; die Kunstschaffenden sind das Spielzeug der Kunst, Teil des Spiels, sie prüfen nach. Das Spielerische als Balance zwischen dem Spiel und den Spie­lern, auch zwischen dem Betrachter und Mitspieler ist der energetisch aufgeladene Schlüssel. „Wir spielen das Leben“, weiß Louis Armstrong.

Die Bodeninstallation „CD ROM“ (2010) zieht in irrisie­rend, schrill-technischen Farbreihungen der CDs bei abendlichen Kunstlicht und auch im Regenbogen-farbenen Tageslicht die Blicke auf sich und füllt Räume. Die Mitte der CDs wird durch farblose Glaskugeln besetzt: Ein magi­sches Farbspiel mit Poesie – ein Forum -, das den Triumph des Einfachen zum Universalen erhebt.

Roswitha Siewert