Figurentheater?
Wieso gerade das Lübecker Museum für Puppentheater mein begeistertes Interesse fand?
Vieles floss wie selbstverständlich zusammen: eine Kindheit in der Weite brandenburgischer Landschaft, die Erzählungen der Großeltern, das Vorlesen von Grimms Märchenwelt. Im Hintergrund Kriegsgrauen. Not und Einfachheit der Nachkriegszeit. Dann die quirlige Verschiedenheit in Berlin mit Schule und Studium an TU und FU, dazu Theater und Konzert, fast täglich. Reisen in die Welt, die damals Europa hieß. Ein Aufenthalt in Bagdad. Und dann Lübeck, ab 1980: die mittelalterliche Stadt mit den zwei weiteren großen M: körperlich und geistig belebende Größen wie Marzipan und Mann. Weltweite Großzügigkeit und behagliche Enge schlossen sich zum Kreis, das Anklopfen an Fritz Feys Puppentheater und an die Tür des Figuren Museums im Lübecker Kolk lag nahe.
Zur Jahresversammlung des Förderkreises Lübecker Marionetten Theater und Museum e. V.
Sehr verehrte Damen, sehr verehrte Herren!
„Bei alldem ist wohl kein Zweifel, dass ich meine schönsten Stunden unserem Puppentheater verdanke.“*
Thomas Mann, Essay Kinderspiele, in: Das Spielzeug im Leben des Kindes, Berlin 1904
Ich weiß nicht, ob jeder von Ihnen dem Thomas Mann Wort zustimmen kann, mir geht es jedenfalls so, wobei ich mir auch andere ’schönste Stunden‘ vorstellen kann. Vielleicht sagen Sie, so wünschte ich es mir, nachdem Sie diese Sitzung, einen Theater- oder Museumsbesuch bei der Familie Fey miterlebt haben:
„Das war schön !“
Es muss ja nicht gleich die schönste Stunde sein.
Oder aber auch, um gleich ins norddeutsche Märchenland vom Fischer und seiner Frau einzusteigen, der meerumspülten Geschichte vom maßlosen Menschen, möchte ich Sie mit den Worten des verwunschenen Butts auffordern: „Geh nur hin“ oder besser „Gehen Sie nur hin in die kleine Petersgrube und sehen Sie, was in den beiden Altstadthäusern Lübecks geschieht.“
Als Beisitzerin im Förderverein und als diejenige, die bei Bedarf Führungen im Museum durchführt, ist mir laut Tagesordnungspunkt die ehrenvolle Aufgabe übertragen, Ihnen einen Vortrag über ‚Puppenspiel‘ zu halten. Jedoch sind mir 5 bis höchstens 8 Minuten zugesprochen, so dass ich nur im Telegrammstil einiges zum Puppenspiel beitragen kann. Kürzel, die nur die Spitze des Eisbergs, den es zu erwärmen gilt, antauen. Denn nicht nur die behutsame Wärme des Schwefelhölzels im Märchen ist zu beachten, sondern auch die höllischen Feuerqualen eines Faustes im Puppenspiel.
Die Uhr läuft bereits in die zweite Minute, ich beginne. Zunächst etwas zum Wesen der Puppe im Puppenspiel:
Puppenspiel ist Spiel der Puppen in dramatischer Zauberei. Was heißt das? Puppenspiel kommt vom Theater und reicht von Bereichen der kultischen Magie über ins volkstümliche übersetzte Kunstdramen bis zum ‚Haut den Lukas‘ derben Jahrmarktsspaß. Dazwischen liegen die vielfältigsten Varianten mit Darstellungsmitteln von hohem Kunstwert bis zur Klamotte mit grellem Überraschungseffekt. Die „Als ob Menschen“ im „Als ob Theater“ wirken faszinierend und unheimlich zugleich. Himmel und Hölle angehörend, treiben sie ihr geheimnisvolles Spiel gleich dem Rattenfänger, dem wir als Kinder folgten.
Woher kommt das Unheimliche, das „Vampyrhafte“? Durch die vorgetäuschte Beseelung der Puppe, der bearbeiteten toten Materie, die in der Bewegung durch den Puppenspieler lebendig erscheint, gleicht sie einer Figur im Totentanz. Von der anderen Seite her, kann man auch sagen, dass das Seelische durch die Mechanik des Körpers verhärtet, erkaltet. Das ist ein Effekt, der ganz bewusst auf Schock setzt und Puppenspiel als Mittel der Entlarvung ausnutzt.
Für viele ist jedoch der Eindruck des Lebendigen der Puppe überzeugender. Der ‚vertraute Zustand der verlorenen Unschuld‘ wie Kleist ihn nennt, bleibt in der Marionette vor allem erhalten. Sie bewegen sich elfengleich, können durch Räume gleiten und fliegen.Trifft man den Schwerpunkt in der Figur, so bewegen sich Arme und Beine gleich Pendeln. Dieser Mittelpunkt ist zum Ort der Seele erkIärt worden! Die Philosophischen Ausdeutungen können Sie sich vorstellen. – Jedoch ist das ‚ordentliche‘ Laufen, das Bodenständige nicht ihre Stärke. Es klappert und knickt in den Gelenken. Dies regt uns zur Überlegenheit an, lässt uns die Puppen komisch erscheinen. Mit einem Hauch von Schadenfreude reagieren wir: ‚Die kann ja nicht einmal ordentlich laufen.‘ Jedoch und hierin besteht mit eine der wesentlichen Wirkungen des Marionettenspiels, den Zuschauer, d. h. uns mit der Gebrechlichkeit dieser Figuren so vertraut zu machen, uns so tief in dessen innerstes Wesen eindringen zu lassen, das uns in der Phantasie der Puppenspieler einige der Schnüre zum Spielen überlässt, an denen er seine Puppen tanzen lässt. Die Welt des Puppenspiels kann uns sensibilisieren für behutsame Hilfestellungen, wenn die Reaktion nicht nur im befreienden Auslachen enden soll. Shaw sagte (etwas verändert):
„Das wahre Bühneninteresse wird nicht von dem erzeugt, was die (hölzernen) Schauspieler darstellen, sondern von den Gefühlen, die sie in uns erwecken.“
In Figur und Spiel, Berlin, 1980, S. 119
Durch die Andersartigkeit der Puppe und ihres Spiels sind Möglichkeiten gegeben,die über das Spiel des großen Theaters hinausreichen, aber auch letztlich zum Magischen und Übersinnlichen zurückfuhren, nämlich unwirkliche Dinge wie wirkliche darzustellen. Da ja die Puppe in den früheren Kulturen vom Götterstandbild, über Grabpuppen, Ahnenfiguren, Zauberpuppen und Opferfiguren auftaucht, ist das Puppenspiel als rituelle Theaterform in seinen Wurzeln älter als das große Theater.
Ihnen jetzt die Geschichte des Puppentheaters aufzurollen, ist nicht die Zeit. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass das Puppenspiel in seiner historischen und gegenwärtigen Dimension eine weltweite Erscheinung ist und unzählige Variationen und Puppenarten bzw. Kombinationen von Puppenarten hervorgebracht hat. Um dies etwas fassbarer zu machen, kommen Sie, wenn Sie Zeit und Lust haben, am besten am Sonnabend um 17 Uhr zum Rundgang durchs Puppenmuseum.
Eine Variation des Puppenspiels wird Ihnen heute im Puppentheater vorgeführt werden, nämlich die norddeutsche Version einer Geschichte mit unendlichen Wünschen: Die Geschichte vom Fischer und seiner Frau. Wenn ich Fontane etwas paraphrasieren darf, dann sind Sie Herr Fey:
„ein Spezialist. Aus dem Gesamtgebiet des Puppenspiels haben Sie kleine Parzellen ausgeschieden, diese auf gut schleswig-holsteinisch, mit sauberen Heckenzäunen umfriedet und das ganze Gebiet wie ein Stuck Gartenland bestellt . . . , aber innerhalb dieser Grenzen ist ein vollständiges Zuhause sein, ein Auge für das Kleinste, ein Ohr für das Leiseste.‘
Als Senior des Lübecker Puppenspiels haben sie die Puppen, die ja sonst nur totes Material wären, in Lübeck lebendig gemacht und hier heimisch werden lassen.
Neben dem Theater der Familie Fey gibt es noch ein Museum, in dem Puppen aus aller Welt ihren wohlverdienten Ausstellungsplatz gefunden haben. Das Museum ist nicht nur als eine Repräsentation einer Kinderstube zu verstehen, sondern dokumentiert den ernstzunehmenden Beitrag des Puppentheaters in verschiedenen Kulturkreisen. Es ist, bitte, kein Museum der Raritäten, wie es häufig gekennzeichnet worden ist, es ist ein Museum der Originalitäten, die sich darüber hinaus den Luxus leisten, originell zu sein. Charakter, nicht so sehr Schönheit, steht zur Debatte. Lessing, lebte er heute und wäre er ein Museumsmann: er hätte gewiss seinen Spaß an dieser musealen Harlekinade. Es ist eine Sammlung, die über Lübeck hinaus, das Herz Pole Boppenspälers am richtigen Fleck hat und an die Pforten des Himmels musealer Aktivitäten klopft. Eine Sammlung überregionalen Anspruchs, die versucht, sich gegen kalte Logik an den Wärmeströmungen eines durch Puppenspiel abgegrenzten Bereichs lebensgeschichtlicher Erfahrungen vieler Länder zu beteiligen.
Noch mal zurück zum Wünschen: Das Märchen vom Fischer und seiner Frau hat seinen Reiz daher, dass hemmungslos gewünscht wird und diese Wünsche auch meist erfüllt werden, wie maßlos sie auch sein mögen, d.h., dass dort an die Veränderbarkeit einer Situation geglaubt wird. Nur darf man nicht an die Grenzen stoßen oder das Wunschpotential überspannen. Deshalb schön bescheiden, aber doch gewünscht. Ich möchte drei Wünsche, wie im Märchen, nennen:
- Erstens wünsche ich dem Museum die wissenschaftliche Aufarbeitung, die das Fundament einer auf lange Dauer ernstzunehmenden Sammlung nur sein kann.
- Zweitens wünsche ich mir, dass Sie recht zahlreich wiederkommen und ich Ihnen im Museum noch mehr über das Zauberland Puppenspiel zeigen und erzählen kann.
- Als drittes und letztes wünsche ich Ihnen ohne, wie ich hoffe an die Grenzen der Maßlosigkeit zu stoßen, dass Sie einen schönen Theaterabend verleben werden.
Vielen Dank!
Roswitha Siewert
Meine Arbeit im Museum für Puppentheater
Von 1984 bis 1986 war ich für öffentliche Führungen und Vorträge zuständig. Ich erstellte zu den einzelnen Aufführungen ausführliche Programmhefte. Als Beispiel finden Sie hier:
Genoveva und Medea im Puppenspiel
Dem Puppenspieler Lutz Werner von Bille danke ich für die Einsicht in die unveröffentlichte Abschrift des Puppenspiels „Jason und Medea“. Diese Fassung ist von der Puppenspielerfamilie Bille aufgeführt worden. Das Stück ist seit 1796 im Besitz der Familie und nach mündlicher Überlieferung gespielt worden. – Das Ritterschauspiel für Puppentheater „Genoveva, die Schöne Pfalzgräfin am Rhein“ geht auf eine neuere obersächsische Handschrift zurück, die auf Beginn der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu datieren ist. Sie war Vorlage für das Genoveva-Spiel der Familie Bille . . .
Weitere Themen waren:
Einführung ins Puppenspiel
Kinderführung für 6 – 12-Jährige
Faust
Kasper und Harlekin
Chinesisches Puppenspiel
Prinzen, Intriganten, Räuber
Sita und Rama
Von Hexen und Zauberinnen
Orlando und Angelika
Das Schattenspiel
Ein Welttheater an Fäden – Zum Gedenken an Fritz Fey
Im Alter von 74 Jahren ist der Puppenspieler Fritz Fey nach längerer Krankheit gestorben. In Eutin geboren, begann er erst 1945, am Ende des zweiten Weltkrieges, mit dem Puppenspiel. Noch im Lazarett aufgeführt wird das Grimmsche Märchen „Rumpelstilzchen“ sein erster Erfolg. Die verheißungsvolle Botschaft aus „Stroh Gold“ machen zu können, vermochte Fritz Fey in einer Zeit zu vermitteln, in der es nicht einmal „Stroh“ gab.
Foto: Roswitha Siewert
Jedoch beschwerlich ist der Weg eines Puppenspielers. Mit Pferd und Wagen ging es zunächst an der Ostseeküste um Grömitz mit der Familie von Ort und Ort, den Geschichten um Pole Poppenspäler nachspürend und ihm nicht unähnlich. Weitere Stationen waren das Lensahner Schloss als Spielort, später das Haus „Kuhlbrede“ in Schmilau bei Ratzeburg und das „Ulenspegel-Huus“ in Mölln an der alten Salzstraße nach Lübeck. 1977 findet der Einzug in das Altstadthaus am Kolk in Lübeck statt. Ein feststehendes Theater wird zum ständigen Domizil der Puppenspielerfamilie Fey. Der Weg von der wandernden Puppenspielbühne zu einem kleinen Welttheater an Fäden hatte einen Abschluss gefunden.
In Mölln zeigte Fritz Fey bereits Puppen aus aller Welt in Vitrinen. 1982 eröffnet sein Sohn vis á vis vom Theater in der kleinen Petersgrube ein Museum für Puppentheater. Viele halfen mit: Unterstützungen der Stadt, Möglichkeiten des Fördervereins, private Initiativen und öffentliche Institutionen, aber nur durch den unermüdlichen Einsatz Fritz Feys, seiner Familie und seiner Mitarbeiter konnte zu jeder Vorstellung der Vorhang geöffnet werden. So entstand um die Person Fritz Feys ein Puppenspielzentrum, das überregionale Anerkennung hat und große und kleine Menschen aus Nah und Fern anzieht.
Über tausend Figuren hinterlässt Fritz Fey, viele sind von ihm selbst entworfen, geschnitzt, gedrechselt oder unter seiner Anleitung entstanden. Sie können in nordischen Sagen spielen, die Welt der Märchen bevölkern, außereuropäische Mythen darstellen, dem Ernst des Ansverus-Spiels Ausdruck verleihen, die Opernwelt Mozarts und anderer Komponisten mit speziellem Reiz versehen, Dramen, wie z. B. ,,Faust“ und „Jedermann“, mit Marionetten in Szenen setzen, aber auch der Unterhaltung und dem Kabarett dienlich sein. Marionetten-Persönlichkeiten wie Störtebecker, Beimonte, Gretchen, der kleine Prinz, Geister unterschiedlichster Herkunft und viele mehr übermitteln mit großer Geste und kleinem Pathos die Kunst des Marionettenspiels.
Fritz Fey war auf vielen hiesigen, überregionalen und internationalen Puppenspielfestivals als Autorität seines Faches anerkannt. Das Herz aller Besucher des Puppenspiels gewann er über die Figur des Fiete Appelschnut. Fritz Fey wählte die Marionette als die Puppenart, die seinen künstlerischen Vorstellungen, die vorgegebene Literatur in das Spiel von Puppen umzusetzen, am nächsten kam. Er erweiterte die technischen Möglichkeiten des Marionettenspiels und gab damit der Marionette ein Höchstmaß an schwebender Unwirklichkeit: die „grenzenlose Anmut ihrer aufgelösten leichten Glieder“ (Hofmannsthal). Da das Puppenspiel als „höchste Kunst des Theaters, als reines Theater“ immer wieder angesehen wird, ist es ein Glück für Lübeck, dass dieses Kulturangebot in der Altstadt ein Zuhause fand.
In dieser Stunde des Abschieds möchte ich einen Dank sagen, einen herzlichen Dank an Fritz Fey. Aus der Ferne kommend, als Neue in Lübeck, war es die Zusammenarbeit mit der Marionettenbühne, dem Museum für Puppentheater und vor allem durch Herrn Feys humorige und tiefsinnige Infragestellungen meiner Aktivitäten, die es mir aber ermöglichten, in dieser nördlichen Region heimisch zu werden. Gespräche über Harlekin, Kasper, Tod und Teufel, Räuber und Prinzessin, aber auch über Medea, Genoveva, Karl Stülpner, den bairischen Hiesl und Faust zeigten mir die Grenzen auf, das historische Puppenspiel mit dem aktuellen zu verbinden, auf der anderen Seite auch die Chancen einer gegenseitigen Belebung von musealen mit tätig-spielenden Figuren.
Unvergesslich bleibt allen, die dabei waren, als Fritz Fey zu seiner Faust-Marionette den Monolog aus der Geisselbrechtschen Faustfassung las. Diese Fassung gehört mit zu den als „verwildert“ bezeichneten Faust-Stücken, wenn Goethes Faust als Vergleich zitiert wird. Faust, der dem Publikum eine mächtige Stirn bietet und dazu mit verinnerlichtem Lächeln sagt: ,,Ich habe alles genossen und alles ist ein erbärmliches Possenspiel, so schnell zum Lachen und zum Weinen . . . O Schicksal, zeige mir auf dieser Welt einen einzigen tugendhaften Mann, und ich will ihm auf den Knien nachfolgen, aber auf dieser Marionettenwelt, wo sichs nicht der Mühe lohnt, den Draht zu ziehen, verachte ich alles . . . ! „, so Faust ( Geisselbrechtsche Fassung) von Fritz Fey gesprochen.
Fritz Fey war jemand, für den es sich lohnte, die Drähte zu ziehen und der es für uns lohnenswert machte, dem zuzusehen. Faust ist eine wichtige Figur des Feyschen Marionettenspiels, aber was wäre ein Zurückdenken, ohne an die Munterkeit und Überlebensfreude eines Fiete Appelschnut zu erinnern. Mit Faust hat sich jeder Puppenspieler identifiziert: Faust bin ich, so heißt es immer wieder. Mit Fiete Appelschnut wird Fritz Feys Name verbunden bleiben. In der Nachfolge der großen Spaßmacher, die den ganzen Optimismus der Welt auf ihren schmalen Schultern zu tragen haben, hat die Marionette Fiete Appelschnut einen festen Platz. Andere Hände werden sie nun führen und am Leben erhalten.
In alter Puppenspieltradition ist „diese Geschichte zu End‘, Fiete Appelschnut macht sein Kompliment“.
Uns allen bleibt es nur übrig zu danken, aber auch zu bewahren.
Roswitha Siewert