Uroboros

Uroboros

Ein drittes Geschlecht

Mythos und ästhetische Projektion

GEDOK-Bundesausstellung vom 24. Mai bis 5. Juli 1987

Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum, Schleswig, Schloss Gottorf

Herausgeber: GEDOK

Konzeption und Katalog: Silke Radenhausen, Dr. Christian Rathke, Dr. Ursula Rathke, Margrit Schulz aus dem Kahmen, Dr. Roswitha Siewert, Gudrun Wassermann

Beitrag von Roswitha Siewert:

Seiten 37 – 46

Zur Ausstellung

Ein Zeichen: Das „kreisend Lebendige“ in der idealty­pischen Form des Uroboros ist Zeichen und Titel der Ausstellung. Das Sinnbild ist die „Kreisschlange“1, der Ur-Drache des Anfangs, der sich in den Schwanz beißt, der UROBOROS, der in sich selber zeugt. Er tötet sich selbst, heiratet sich selbst und befruchtet sich selbst. Er ist Mann und Frau, zeugend und emp­fangend, verschlingend und gebärend, aktiv und pas­siv, oben und unten zugleich.

Ein anderes Zeichen: Ein rot-blauer Farbstift liegt auf dem Boden und verbindet Kreisformen, die aus zwei verschiedenen Materialien, den Würznaturalien Zucker und Salz, gebildet sind. Der zweifarbige Stift enthält jeweils zur Hälfte die blaue und zur anderen Hälfte die rote Farbe. Seine angespitzten Enden wei­sen in den Farben blau und rot auf die von ihnen ge­zeichnete Mittellinie zwischen Salz und Zucker. Das Ganze ist ein Ausstellungsobjekt von Timm Ulrichs mit dem Titel: ,,Uroboros oder das Blut eines Dich­ters“ (Salz-Zucker-Kontinuum, 1976), das innerhalb der Ausstellung „Androgyn“ ( 1986) zu sehen war. „Die Vereinigung der Gegensätze geschieht hier fast unsichtbar. Und gerade dadurch entfaltet sich die ganze Poesie des Werkes2.“

Ein weiteres Zeichen: Skizziert und auf das Wesent­liche reduziert, wird die in sich greifende Schlangen­form zum Gesichtsumriss. Umgeben ist sie von einem Strahlenkranz oder sich sträubenden Haaren oder züngelnden Schlangen oder „schlicht“ vielen Strichen. Aus halbmondförmigen Augen mit zähnefletschen­dem Lachen blickt ein dämonisches Gesicht: Das Signum dieser Ausstellung „Uroboros“. Assoziationen an das Haupt der Medusa, die durch ihren Blick die Besucher versteinerte, sind nicht weit entfernt3. Athena trug das Haupt der Medusa als Gorgoneion wie eine Waffe, die sie in Notwehr und äußerster Bedrängnis einsetzte. Der bannende Blick wurde auch als Verzauberung dem ängstlichen Starren in der Todessekunde gleichgesetzt, hier aber unter dem Vorzeichen der Erlösung.

Die Gorgo hatte auch eine mann-weibliche Beto­nung, einen uroborischen Charakter. Sie ist mit männlichen Attributen ausgestattet: der Schlange, dem Zahn, den Eberhauern und manchmal sogar mit einem Bart.

Das Zeichen der Ausstellung ist aus einem Videofilm von Hella Böhm. Der Film heißt „Bugaboo“, was so­viel wie „Schreckensgespenst“ bedeutet. Ausgangs­punkt waren afrikanische Masken, die Temperamente und Stimmungen darstellten. Die ausgewählte Vorlage leitet sich von einer Maske ab, die das La­chen symbolisiert. Lachen ist für Hella Böhm eine „vi­tale Explosion“. Ungestümes, Unkontrolliertes, Bar­barisches, Dämonisches setzt sie ins Medium Video um, aus dem Dunkel der Mattscheibe leuchten die Li­nien in vielen schillernden Farben auf. Das binäre Vi­deo-Gesicht stellt sich als künstlerische Lichtschöp­fung dar. Jedoch geschieht dies alles nicht ohne einen Hauch von Ironie und Komik, denn der zur Grimasse erstarrte Gesichtsausdruck, der höchste Emotion meint, ist nicht mehr Leben, er ist ein Leben imitie­render Automatismus. Als Einzelzeichen ist es auch aus den beweglichen Bildern des Videos herausge­nommen, und dadurch wird der Prozess der Erstar­rung noch einen Schritt weitergetrieben. Dafür hat das Zeichen etwas von einem Graffiti angenommen, den provozierenden Alltagsmetaphern der Kunst an Mauern und Hauswänden:


,,Einer hat hier laut gelacht und sich leis davon gemacht
Hauswirt kam mit großen Pratzen um das Lachen abzukratzen
doch das Lachen hat Bestand lachte weiter von der Wand.“

Der Gestaltwandel eines Urbildes aus dem Schöpfungsmythos geht in den angedeuteten Beispielen vom Archetypus und der Dämonisierung aus, über Poetisierung und Neutralisierung hin zur geheimnis­vollen und etwas frechen Maske. ,Was hier als Aus­rutscher des fraglichen verhexten Schalters bezeich­net wird, ist letztendlich Budenzauber. Hinter der schillernden Maske verbirgt sich nichts anderes als das konventionelle Video-Menü: Music-Clips und Commercials, die Camel-Werbung nicht ausgenom­men. Gespenstisch geistern die Bilder über die Matt­scheibe, die sich jeweils in der Fratze der Angst und des Entzückens ausdrückt.‘?

„Angst und Entzücken“, zwei Stimmungslagen, die sich als emotionsgeladene Extrempunkte einander ausschließen, haben auf der anderen Seite in der Gleichgültigkeit, der Indifferenz, ihren sicheren Ru­hepunkt. Lachen und Weinen, heiß und kalt, schwarz und weiß, männlich und weiblich gehören zur Viel­zahl der Polaritäten, die Äußerungen bzw. ein „Au­ßer sich sein“ des gegensatzenthaltenden Ursprungs sind, und die in ihrem Spannungsverhältnis die Fragen nach dem Ursprung dessen, was das Lebendige be­wegt, nicht einschlafen lassen. Wie stellt sich diese vorwärtstreibende Unruhe gegenwärtig dar? Noch

einmal: Das Videobild des „Uroboros“ für diese Aus­stellung gibt nicht so sehr ein Konterfei des necken­den Eros wieder, der die Schwingungen zwischen männlich und weiblich brodeln lässt, sondern gleicht mehr dem Schalk Puck des Sommernachtstraums, der sein belebendes Unwesen als ,,fun beeing“ treibt. Er träufelt nach Lust und Laune Balsam in die Augen der Handelnden, die aktiv werden, auch wenn sie .passiv“ träumen. Die „Fratze der Angst und des Ent­zückens“ ist das begeisternde Abbild einer Initialzün­dung für eine Ausstellung mit offenem Ausgang. Diese Offenheit erweitert den Harmoniegedanken über den Ausgleich der Polaritäten hinaus. Er verla­gert und belebt sich von einem neutralisierten Ruhe­punkt zum spannungsreichen und beweglichen Krea­tivitätsbegriff. Das Zeichen des Uroboros im stati­schen Ringschluss als Koinzidenz der Gegensätze be­griffen, ist ein Teil seiner Definition, das „kreisend Le­bendige“ der andere Teil. .Die Vollkommenheit des in sich Ruhenden steht hier nicht im Widerspruch zu der Vollkommenheit des in sich Kreisenden. Wäh­rend das Ruhende als Absolutes ein Statisch-Ewiges ist, veränderungs- und damit geschichtslos, kann es gleichzeitig der Ursprungsort und die Keimzelle des Schöpferischen sein.“ Die vorwärtstreibende Unru­he kommt von Innen. Die Gültigkeit und Wirklichkeit des Uroboros ist kollektiv fundiert. Das Symbol ent­spricht einer Entwicklungsstufe der Menschheit, die in der seelischen Struktur jedes Menschen erinnert werden kann. Vergessenes, überlagertes, sonst und bisher Unformulierbares im Bild neu zu fassen, ist eine Erwartungshaltung an diese Ausstellung. Imagi­nationen aufzuzeigen, die sich nicht im additiven Verbinden genug sind, sondern im Aufnehmen des Anderen Ruhe und Kraft entwickeln; jenseits eines frauen- und männerfeindlichen Dualismus alles Le­bendige vielgestaltig zu verwirklichen und dadurch die vielen zerschlagenen Ichs wiederherzustellen. Die Verlagerung des Gegensatzpaares männlich/weiblich aus der Gesellschaft heraus in das Ich des einzelnen, um dort zur Balance und zur Versöhnung zu gelan­gen ist auch ein Ziel feministischer Übungen (Kristeva). Sie schreibt: ,Wir müssen zu einem androgynen Menschentyp kommen, zu einer Symmetrie der Ge­schlechter anstelle der komplementären Lebensfor­men. „7 ( 1976) Diese Symmetrie ist einer Vielgestal­tigkeit gewichen, die nicht nur zwei, sondern viele Möglichkeiten offen lässt.

„Ganz will ich sein, das ist alles“8, ganz einfach scheint die Message sich ausdrücken zu lassen, die sich über die künstlerischen Arbeiten dieser Ausstellung brei­tet. Jedoch ist zu relativieren, wenn es um weibliche Identitätsfindung geht. Sie ist verschiedene Wege ge­gangen, hat unterschiedliche Symbole aktiviert und versucht im „Zeichen des Weiblichen“ zu verarbei­ten. Von der aufopfernden Anpassung zur Anpas­sungsverweigerung, von der Inbesitznahme männlicher Domänen zum Insistieren auf weiblichen Wel­ten. Von der Aktivierung der Primärsymbole und Körperzeichen zum Beharren auf modischen Gefäl­ligkeiten und alt-praktizierten Opfergesten. Be­schwörung ursprünglicher Schöpfermythen bis hin zum Matriarchat und deren Projektionen aufs Heute. Ein Vorwurf, der auch diesem Ausstellungstitel ge­macht werden könnte: Hier wäre wiederum ein Rückfall in die Nebelphasen der Anfangsgeschichte des Übergangs vom Unbewussten zum Bewussten der geheimnisvolle und unheimliche Aufhänger einer Ausstellung von Künstlerinnen zu registrieren? Ha­ben die aufgebrachten Beckmesser- und -innen Recht, wenn sie ihre Rotstifte spitzen und feststellen, dass es hier erneut „Zurück zu den Müttern“ gehe, um einer Analyse immer noch bedrängender und für die Frau änderungsbedürftiger Zustände aus dem Wege zu gehen? Wo bleibt die Flucht nach vorn? Allge­mein: In einer impulsgebenden Ausstellung von Frau­en wird über den ursprünglichen Blick auf den My­thos der Schöpfung das Heute durch die Arbeiten der Gegenwart auf jeden Fall relativiert. Dies ge­schieht mit dem Vorzeichen als Frage nach „leben“ in künstlerischen Projektionen. Möglichkeitsformen verschiedener Kunstmedien geben Einsichten in un­terschiedliche optische Realitäten. Sie sind Ausdruck einer vielschichtigen Bewusstheit, die sich nicht als Positionen von Gegnern begreift. Das Pendel der Selbsterfahrungen ist weit ausgeschlagen und hat im Aufschwung weder Ruhe noch Schwerpunkt er­reicht. Auf der Skala sind Haltpunkte der Besinnung festgehalten. Um für die Gegenwart eine Aussage über den Standort zu machen oder Möglichkeiten des weiteren Weges aufzuzeigen, scheint das Befra­gen der Kunstwerke der Künstlerinnen für mich ein legitimes Vorgehen. Die Frage nach einer speziellen ,,weiblichen Ästhetik“ und deren Aufgehen im auto­nomen Kunstwerk wird sich vor den Originalen in der Ausstellung diskutieren lassen, eingedenk einer Ausstellung, die sich einer thematischen Eingrenzung stellt. Im Aufwind des Bewusstwerdens entstehen konzentrisch und kreisend um den Gegenstand „ein Drittes“, Bilder, Skulpturen, Performances, Fotos, In­stallationen, die von vielen Seiten her das Unbekann­te umschreiben, gestalten und fassen.

Der Uroboros gleicht einem rollenden Rad, das dritte Geschlecht einem Kugelwesen, der Androgyn scheint der Unbeweglichste zu sein. Während der Uroboros in den Bereich der Schöpfungsmythen ge­hört, ist der Androgyn in vielen Bereichen der My­then, Religionen und deren Interpretationen anzu­treffen, das dritte Geschlecht durch die literarischen Auslegungen von Platon festgelegt und im „Fin de fie­cle“ zur überbetonten Heilslehre erklärt worden. Das dialektische Prinzip an mythischen Symbolen festzumachen und zu aktualisieren, ist seit den sieb­ziger Jahren erneut in der Kunstszene bearbeitet worden:Transformer (1974), Androgyn (1986) waren Höhepunkte – ind in diesem Jahr aus der Sicht der Künstlerinnen: „Uroboros. Ein drittes Geschlecht. Mythos und ästhetische Projektion“.

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