Augenstimmen

Augenstimmen

Künstlerinnen arbeiten in Schleswig-Holstein

Lebens-Erfahrungen oder Kunst-Erfahrungen?

Kunst wird subjektive Daseinsbestimmung und Entwurf für eine neue, humanere Weltschau

Gespräche , Bilder, Einschätzungen dieses Aufbruchs

Verfasserin: Dr. phil. Roswitha Siewert

Verlag: Gustav Weiland Nachf., Lübeck – ISBN 3-87890-050-3

Idee

Die Befragung der vielfältigen Kunstszene in Schleswig-Hol­stein, die durch Künstlerinnen vom totalen Daseinsentwurf bis zum Leinwandbild in unterschiedlichen Varianten mit­gestaltet wird, ist Inhalt des Buches. Aufbauend auf den kunstwissenschaftlichen Erfahrungen der letzten Jahre ist der Versuch unternommen, einen erweiternden Akzent zu er­arbeiten, der sich aus der Einheit von autobiografischen Quellen des Gesprächs, dem sich daraus ergebenden aktuel­len Kunstwerk, seinem kunsthistorischen Stellenwert und biografischen Angaben ergibt. Künstlerinnen haben sich wie Künstler der Frage nach Qualität zu stellen, nur sind für sie immer noch zusätzliche Hürden aufgestellt. Es geht nicht darum, die gängigen Vorurteile zu wiederholen, sondern die Arbeiten und ihre Wirksamkeit in den Mittelpunkt zu stellen. Es ist keine Sozial- oder Lebensgeschichte über kunstschaf­fende Frauen, sondern eine Geschichte der Kunst als kreati­ves Arbeiten von heute. Dies geschieht in einer Auswahl: das Buch wird zum imaginären Begegnungsort von Künstlerin­nen aus Schleswig-Holstein und Künstlerinnen, die von au­ßen kommend, in Schleswig-Holstein arbeiten. Kunst bleibt Kunst, ob sie Medium der subjektiven Selbstbestimmung ist oder im umfassenden Sinn einen neuen, humaneren, objek­tiven Entwurf der Menschlichkeit versucht.

Vorwort von Roswitha Siewert

Ein Buch über Künstlerinnen wird immer noch als eine au­ßergewöhnliche Tatsache angesehen. Jenseits aufgestellter Grenzen und vereinbarter Normalitäten geraten diese Unter­nehmungen in den Verdacht des Exotischen, des Ausge­grenzten, des nicht Ernst-zu-Nehmenden oder des tätigen Selbstmitleids. Ob Frauen oder Männer, die Haltungen sind austauschbar und nicht geschlechtsspezifisch. Verborgene Museen zu entdecken, um Kontinuitäten der eigenen Ge­schichte aufzutun, ist in Sackgassen des Unauffindbaren und der verzweifelten Klage gelandet, auch wenn einzelne Fundstücke hoffen ließen. Einzelaspekte sind untersucht worden. Ausstellungen verbreitern die Enklave.

Die Frage bleibt nach dem Verständnis vom Frauenbild und was sie selbst mit ins Bild bringt. Das Verhältnis vom Alltag und dessen Symbolbildungen zu untersuchen, als Ausdruck von Kunst und Leben in den Gleichsetzungen und Differen­zierungen bewusst zu machen, auch wie weit das Symboli­sche das Alltägliche attackiert und umgekehrt, ist zum Anlie­gen dieses Buches geworden. Die vorgegebenen Muster frei zu erproben, um diese Muster vielleicht verlassen zu können oder zu müssen.

Zwei Strategien werden geübt, die Kunst ins Leben zu bringen und umgekehrt oder als Gegenrichtung die strikter Tren­nung von Kunst und Leben als zwei ganz verschiedenen Din­gen – ohne Verwandtschaft und ohne Sehnsucht nacheinan­der. Die Bereiche von Sein und Schein kommen in vielen pluralistischen Spielregeln der künstlerischen Praxis zum Leuchten.

Künstlerinnen arbeiten in Schleswig-Holstein. Das heißt zu­nächst, dass Frauen, die hier geboren sind, arbeiten oder sich motivisch mit Land und Leuten auseinandersetzen, Gegen­stand des Buches sind. Sehr bald wurde die Eingrenzung auf die geografische Umzäunung zwischen den Meeren von Ost- und Nordsee auf der Horizontale und Dänemark im Norden und dem übrigen Deutschland im Süden als Vertikale erweitert. Thema wurde Schleswig-Holstein als offener Begegnungsort für Künstlerinnen, die hier geboren sein könnten, arbeiten, sich mit der Landschaft motivisch auseinanderset­zen oder auch von draußen kommend künstlerische Akzente setzen. Ungewohntes und Konflikte zulassen und nicht au­ßen vorzulassen, ist ein weiterer Aspekt des Buches. Dies ge­schieht in der Meinung, dass neben dem traditionell Bewähr­ten nicht nur das verpönt Sensationelle oder die außerge­wöhnliche Note Einzug hält, sondern auch an dieses, Ich-kann-das-Herz-Malen, angeklopft wird.

Im Mittelpunkt des Buches steht die Frau, die heute und hier künstlerisch arbeitet. Das Konzept des Buches ist Resultat und Erweiterung des „Standes der Forschung“, Ziel war es, die bekannten Zahlen und Tatsachen kunstschaffender Frauen nicht noch einmal als Hauptthema zu wiederholen, sondern ein Gegengewicht im Befragen der Arbeiten mit den Künstlerinnen zu erarbeiten. Wir können nicht aus den Bil­dern springen, wir müssen sie darstellen als Ausdruck von Bewusstsein – ob nun heil, vernarbt oder zerrissen – und uns damit auseinandersetzen. Findungsort war das Gespräch vor den Bildern und Arbeiten. Diese >private< Privatheit ist Aus­gangspunkt. Ein Bild oder eine Arbeit kristallisierten sich heraus. Im kunsthistorischen Erfahrungskontext die Be­züge, Formen und Inhalte vergangener und gegenwärtiger Kunst mitzudenken und zu formulieren ist der zweite Schritt nun zu einer privaten Öffentlichkeit. In diesem Sinne wird der wirkliche Fortschritt nicht als ein Fortgeschrittensein bereits verstanden, sondern im Fortschreiten von Bild zu Bild das Gefühl einer Überschreitung des Faktischen ästhetisiert, das aus der Arbeit entsteht. Das Zwiegespräch wird zum Vielgespräch. Eine andere Lesbarkeit der Welt wird erzeugt. Die Kunst wird nicht mehr nur als Medium der Selbstbestimmung aktiviert, nicht in der selbstgenügsamen Subjektivitätssuche wird stehen geblieben, sondern der Sinn in einer radikal anderen Gefühlskultur zum anderen, in einer Bewegung des Seelenapparates, der im Aufbegehren einer erschöpften Gesellschaft versteckte Energien freilässt . . . >Hineinsehen in Menschen und Dinge, wie es meist nur einer Frau gegeben ist . . . < (W. Schadendorf, 1976) scheint Künstlerinnen vor allem aufzufordern. – Kunst reagiert auf den Ausverkauf der Sensibilitäten. Sie deckt Defizite. Sie muss für Verluste an Humanität herhalten. So wird Altbekanntes zum Allerneusten. >Gefühl nach Norden< wird provokanter Ausruf und eine Bündelung der einzelnen Gefühle zu subjektiver Allgemeinheit.

Ich danke allen, die dieses Unternehmen als sinnvoll unterstützten. Mein persönlicher Dank gilt den Künstlerinnen, die zum Hauptteil dieses Buches geworden sind. Kritik war aufbauend, um Dinge neu zu bedenken, ich danke auch dafür! Das rege Interesse, ins Buch noch mit aufgenommen zu werden, lässt hoffen, dass weitere Bearbeitungen oder Fortsetzungen folgen. Dank allen Institutionen, die Ausstellungen von Künstlerinnen unterstützen oder als selbstverständlich nehmen. In diesem Zusammenhang bedanke Ich mich besonders bei Propst Dr. Niels Hasselmann für die Unterstützung, in der Marien- und Petrikirche (Lübeck) Ausstellungen von Künstlerinnen durchführen zu können. Vor allem mein herzlicher Dank an Margrit Schulz aus dem Kahmen (1. Vorsitzende der GEDOK Schleswig-Holstein), die an dieses Buch glaubte und die finanzielle Organisation In die Wege leitete. Dank auch dem Verlag für die umsichtige Realisierung und der Buchhandlung Weiland für die freundliche Unterstützung in der Endphase. Marie Luise Böhmer hat sich auf die mühevolle Arbeit des Korrekturlesens eingelassen, vielen Dank dafür. Nicht zuletzt sei auch meinem Sohn ein Dankeschön für die Anleitung und technische Überwachung meiner Computeranlage und meinem Mann für seine Geduld ausgesprochen.

Roswitha Siewert, Lübeck, im Oktober 88