Kunst im politischen Raum

Schleswig-Holsteinische Gegenwartskunst im Landeshaus

  • Nicht Ästhetisierung von Politik, noch Politisierung von Kunst, sondern Parteinahme für Kunst.
  • Genießend, anregend, fördernd, integrierend:
  • Im Zeichen von Toleranz.

Ausstellungskatalog des Schleswig-Holsteinischen Landtages – 1990

Titelbild nach einem Entwurf von Burkhard Schreiber – Foto-Renard, Kiel

Vorwort zum Katalog von Roswitha Siewert

ZUR PROJEKTBEARBEITUNG

Ist Kunst im Landeshaus das Ende ihrer Autonomie, ihre neue Freiheit oder ein dritter Weg? Kunst im politischen Raum begibt sich in Abhängigkeit, die sie seit kunstwissenschaftlichen Gedenkens versucht hat abzustreifen. Tagesordnung war für die Kunst so subjektiv, so indivi­duell, so entäußert auf Selbstfindung und Selbstbestimmung, so rücksichtslos Allgemeinverständlichkeit verweigernd, so sich selbst überlassen in Thema, Ausfüh­rung und Material, so bewusst oder unbewusst auf jede banale Existenzgrundlage von Essen bis Trinken verzichtend, nur die auf sich bezogene, ontologische Entwicklung in Betracht ziehend, ihre Bilder herzustellen. Das geschah seit der Renaissance mit System, sie löste sich damit aus staatlichen und kirchlichen Repräsentationsverpflichtungen. „Denn die Künste sind nicht so sehr deshalb autonom geworden, weil sie es immer gewollt und unter Opfern schließlich auch durchgesetzt hätten, sondern wahrscheinlich deshalb, weil sie in den herkömmlichen Rollen nicht mehr gebraucht wurden, da andere in der modernen Massengesellschaft wirkungsvollere Medien an ihre Stelle treten konnten. Die Kunst ist nicht mehr tauglich, im Dienste staatlicher und kirchlicher Instanzen Botschaften, Sinnvorgaben und Wertvorstellungen an das Publikum zu adressieren.“ In seinem theoretischen Aufsatz über „Kunst unter Verweigerungspflicht“ untersucht Martin Warnke (siehe „Kunst im öffentlichen Raum“, Dumont 1989) die historischen Entwicklungen und zieht harte Konsequenzen für die gegenwärtige Kunst.

Sie ist kein Nützlichkeitsfaktor im traditionell historischen Sinn. Wohin mit ihr? Kunst ist verstoßen worden. Wäre sie ein normales Handwerk, wäre sie ausgestorben. Findig und fündig wie sie ist, hat sie ihren Weg des Überlebens gefunden: den der Autonomie, der Selbständigkeit, nur sich selbst verpflichtet. Sie steht damit für Verdrängtes, für Minderheiten, für sonst Ungesehenes, aber auch für spontanen Genuss und unbekümmerte Kommunikation. Beschimpfung schmückt sie und macht sie attraktiv. Die permanente Neuinszenierung ist ihr Tageslos, nichts ist ihr abträglicher und schädlicher, als Langeweile aufkommen zu lassen. Dies geht von der sanft poetisierenden Sensibilisierung bis zu den lauten, effektiven Aktionen. Und doch ist sie ein Kriterium gegen die kulturelle Versteppung und den Ausverkauf, den Alltag von Politik. Sie ist ein Element politischer Kultur, die den ästhetischen Reiz auf den Zeitgeist wiedergibt.

Kunst und Politik, wir brauchen diese Kombination, denn beide sind Garanten für Illusionen, Utopien, Phantasien auf der einen Seite und Realität, Reflektion, Öffentlichkeit und Anknüpfen an die Gesellschaft von heute auf der anderen Seite.

Es ging in den folgenden Gesprächen, Statements und Texten weder um die Ästhetisierung von Politik, noch um die Politisierung von Kunst, sondern um Parteinahme für Kunst. Ersteres durch den Nationalsozialismus als Dekoration von Gewalt geschunden, war Ambiente und der Mensch dazu heroisiert, „mit Willen“ verschönert und benutzt worden; im Kommunismus – als Gegenmodell – ist darauf mit der Politisierung der Kunst geantwortet worden. Es gibt aber auch in der Geschichte – genauer Kunstgeschichte – einen anderen Weg:

Michelangelo hat seinen Bildhauerkollegen empfohlen, die Vorhänge der Werkstatt beiseite zu ziehen, und dem Volk auf der Piazza seine Arbeit zu zeigen: Zitat Michelangelo: „Erst das Licht der Piazza wird die Figur zeigen“. Vasari interpretiert dies folgendermaßen: „Dass über ein Kunstwerk erst das Volk bei einer öffentlichen Ausstellung entscheidet, ob es gut oder schlecht ist“. Eingedenk der halböffentlichen Möglichkeit, Kunst aus Schleswig-Holstein im Landeshaus anzusehen – erst muss das gläserne Pförtnerhaus passiert werden, bevor sich das Landeshaus öffnet -, ist der Ausstellungsort weder ein Museum, noch eine Galerie. Es ist auch kein öffentlicher Raum im herkömmlichen Sinne, wie eine Straße oder ein Platz. Das Landeshaus bildet ein politisches Umfeld, das darüber hinaus Kunst aus der schleswig-holsteinischen Region in Vielfalt und Auswahl ausstellt. Die Gesprächsargumente der Besucher und der hier tätigen Politiker und Angestellten gingen von genießend, über fördernd bis integrierend.

Letzteres steht unter dem Gedanken der Toleranz. Kunst wird zum Ausgleichszeichen von Spannungen. Dies gilt nicht nur als Einbahnstraße, sondern auch umgekehrt. Kunst hat einen zusätzlichen Ausstellungs- und Kommunikationsort. Die Eröffnungsreden der Ausstellungen problematisierten die unterschiedlichen Standpunkte.

Die Gespräche über Kunst und Politik fanden, vorausgeplant und festgesetzt, am 10. und 11. November im Landeshaus statt. Aus allen Lautsprechern ertönten die Erklärungen von Regierung und Opposition zur friedlichen Revolution in der DDR, die am Tag davor stattgefunden hatte. Es war kein staatliches Denkmal, das den 9. November prägte, sondern ein Satz, gesprochen und auf Transparenten zu lesen. Er war aus gesellschaftlicher Not und Phantasie geboren. „Wir sind das Volk“, war und ist Identität für viele. Politische Kunst, die auch politisch gemeint war. Die Geschichte – auch die Geschichte der Entstehung dieser Broschüre – bringt Zufälligkeiten, die sich nachträglich in ein historisches Gefüge einordnen lassen. Auch die Ausstellung der Faust-Illustrationen im Goethe-Nationalmuseum in Weimar und im Landeshaus in Kiel erhält eine aktuelle Sichtweise. Nicht traumverloren und durch Vergangenheit gelähmt war der Blick auf Kunst, sondern real und gab Anlass, ihre Möglichkeiten neu zu bedenken.

Dr. Roswitha Siewert ist Kunsthistorikerin in Lübeck