Eine Ausstellung der GEDOK
im Landeshaus des schleswig-holsteinischen Landtags in Kiel
vom 27. Januar bis 10. Februar 1994
Umschlagbild des Katalogs: Mareile Schröder – „Polyphonie“ – Wandinstallation – 1992/1993
Vorwort zur Ausstellung von Roswitha Siewert
Künstlerinnen stellen ihre Arbeiten diesmal nicht nur im politischen Raum oder im politischen Alltag aus. Ihre Ausstellung im Landtag unterbricht die Arbeit der Abgeordneten und greift in eine Sonder- oder Ausnahmesituation des politischen Umfeldes ein. Die Bereiche und Flächen zur Ausstellung im Landeshaus waren vorher festgelegt und erstrecken sich auf die Eingangshalle, den Schleswig-Holstein-Saal, den Paternoster, die Lobby mit anschließendem Raum zur Staatskanzlei und den Plenarsaal des Landeshauses.
Gisela von Waldow
hat für die Eingangssituation und den Treppenaufgang figurative Formen zusammengestellt – und wieder vereinzelt. Sie können in Gruppen oder als freie Plastik ihren Ort finden oder filmische Bewegung vorspielen. Papier, der meistverwendete Werkstoff zu ihren Arbeiten, wird auf Nessel geleimt und erhält Halt. In der einzelnen körperhohen Gewandform zentriert sich alles um ein spitzwinkliges, schmales Dreieck. Breit und schmal, standfest und fragil, bewegt und stabil, in Serie oder als Unikat, von rot-orange bis blau-violett, sesshaft und unterwegs wirken sie wie vorgehaltene Schutzschilde, ohne zu schützen.
Bärbel Brandhorst
geht mit den Mitteln der Kunst den Praktiken der Werbung nach und legt sie bloß. Zwei Wege vereinigen sich in ihren Arbeiten. Die raffiniert ästhetisch-psychologisierenden Vereinnahmungen der Dinge und ihre verschlüsselten Verpackungsrituale werden hinterfragt und umgekehrt. Sie hat zwei Innenräume des Paternosters für ihre Installation gewählt. Box, Schachtel: ein kurioses Behältnis, das sich in einer Aufwärts- und Abwärts-Bewegung verschiebt, wiederkehrt und Menschen transportiert, wird aus dem Alltagstrott zum Kunstraum erhoben. Beide Räume wiederholen die gesamte Paternoster-Bewegung im Kleinen. Bleibt der überraschte Besucher nun außen vor?
Anke Mellin
hat räumliche Barrieren und optische Sichtblenden mit ihrer drei Meter hohen und vier Meter breiten Arbeit „Balance“ in der Eingangshalle errichtet. Sie stoppt das Weitergehen und schafft durch eine Wand einen separaten Vorraum. Der schwarze, reich strukturierte Farbauftrag beschäftigt den Betrachter und lässt den Oberflächenreiz zum Spannungsmoment werden. Balance wird Grenzsituation zwischen Einheit im Raum und Öffnung zum Dialog von Kunstwerk und Besucher. Die schwarze Ölfarbe gerinnt zu Spuren von Verbranntem. Die Aufstellung entfaltet monumentales Erschrecken und Schönheit.
Elisabeth Ediger
arbeitet mit Malerei und Sprache. Sie fasst Erlebnis-Zeiträume in großformatigen Tafelbildern zusammen, Zeichnungen werden zu Tagebüchern auf ihrer Selbstsuche. In „Linie 102 „, einem inszenierten Raum aus Dingen und Worten, wird in unterschiedlichen Ebenen das Stationäre eines Lebens abgefragt und am Fließen belassen. Als Teil eines Ganzen und für das Ganze auch sprechend, werden die Reflexionen zu allgemeinen Positionen. Sie erweitert das „Ich bin Ich“ zum „Ich bin IHR“. Der insuläre Raum aus gesprochenem Wort und aufgestellten Dingen in der Eingangshalle wird Ort des Nachdenkens und zur eigenen Bühne.
Metta Linde’s
Bilder hängen im Quadrat der Wandflächen des Schleswig-Holstein-Saales zu einer prozesshaften Reihung. Das rote Bild „Wenn du ganz hineinspringst“ und das schwarze Bild „Das dicke Fell der Nacht“ sind Ausgangspunkt und Signal. In unterschiedlichen Größen und Farben gliedern sich die weiteren frisch entstandenen Bilder im Raum zu einem Gesamtbild. Die Bilder sind seismografische Markierungen auf der Suche nach der „rein malerischen Wahrheit der Dinge“ (Cézanne), frei von allen äußeren Bildern und Bedeutungen. Ein Maigitter ist wie eine Verfassung. In diesem Raster feiern die Veränderungen und Ähnlichkeiten der Farben ihr optisches Fest.
Annelies Hölscher
stellt in der Lobby zwei Figuren-Bilder aus. Die entblößende Sicht verbirgt Ängste, Bizarres und Heiteres. Tatsächliche Erlebnisse des Alltags: zwei junge Männer, die an der See spazieren gehen, werden zum „Strandbild“ aus zwei Damen oder das ländliche Schlachtfest bei Freunden wird zur unheimlich bis rituellen „Gruppe mit Schwein“. In skurrile Kleider und Korsetts gepresst, öffnen sich die Figuren freizügig. Glatzköpfiges konkurriert mit Vollbärtigem. Die Würde des Molligen paart sich mit dreister Diesseitigkeit. Hechelnd, gejagt, in den Vordergrund drängend, als Bedeutungsträger aufgestellt, bevölkern Kobolde der Tierwelt die Bilder.
Mareile Schröder
geht auf klarem und puristischem Kurs in der Kunst. Die einfachen Materialien, die ungemischten Farben, die gerade umrissenen Formen der Installationselemente bleiben bis zum einzelnen Baustein durchschaubar. Der Prozess des künstlerischen Eingriffs ins Material ist sichtbar. Er wird nicht verwischt oder überlagert. Ein additives Moment baut die Bewegung auf und begleitet sie. Parallelität zur Musik wird nur in dem Sinne angestrebt, dass die Individualität der Farbtöne erhalten bleibt und gleichberechtigt zum Gesamtklang – zur Polyphonie – geführt wird. Diese Arbeit nimmt für die Zeit der Ausstellung den Platz des Wandbehangs im Plenarsaal ein.
Brigitte Schirren
stellt im Übergangsraum zur Staatskanzlei ihre gestickten Sandkissen und bemalten Windtücher zu verschiedenen Religionen aus. „Einheit in der Vielheit“ ist der Versuch einer Annäherung an das Thema. Es ist für sie eine Möglichkeit, „etwas zur Verständigung der Menschen“ beizutragen. Darüber hinaus wird das Sticken, als einstige den Frauen vorbehaltene Beschäftigung, in den Kunstbereich nobilitiert und gleichzeitig werden Traditionen religiöser Gebrauchskunst erhalten und vergegenwärtigt. Ein Durchgangsraum im Landtag erhält ein Raumritual und stoppt zur Einkehr.
Wenn die Politik die Kunst des Möglichen bedenkt und versucht das Mögliche zu realisieren, dann schafft die Kunst bereits im Unmöglichen das Mögliche als Utopie im Raum sichtbar zu machen.